Methoden und Wissen
Mit der Business Story-Methode wirksame Software entwickeln
07. Juni 2024 / Ulf Mewe
Business Storys helfen dabei, sinnvolle Entscheidungen für die Entwicklung von Softwareanwendungen und anderen Produkten zu treffen. Sie berücksichtigen die Wirkung des Produktes für alle Interessengruppen innerhalb und außerhalb des Unternehmens. Als Denkhilfe kommt ein Template zum Einsatz, wie es viele zum Beispiel vom Business Model Canvas oder von Personas- und Produktvisionspostern kennen.
Der Fall: Der Marmeladen-Konfigurator
Anruf von unserem Kunden, einem Marmeladenhersteller: „Also, wir haben eine ganz neue Businessidee. Wir wollen einen Marmeladen-Konfigurator entwickeln, mit dem sich Kundinnen und Kunden online unsere Konfitüre ganz nach ihrem Geschmack zusammenstellen können.“ Das klingt nicht nur lecker und nach einer spannenden Entwicklungsaufgabe, sondern auch nach einer guten Geschäftsidee: Zum einen bekommen Stammkund:innen ein zusätzliches Angebot. Zum anderen kann das Unternehmen ganz neue Kund:innen ansprechen, nämlich die, die gerne individuelle und handgemachte Produkte kaufen.
Einen Konfigurator zu entwickeln, bedeutet allerdings eine größere Investition. Bevor wir loslegen, sollten wir also abwägen, ob die Lösung überhaupt den gewünschten Effekt haben wird: Beißt die neue Kundenzielgruppe tatsächlich an und bringt den zusätzlichen Umsatz? Oder verschreckt das neue Angebot etwa treue Stammkunden? Könnte das Vorhaben im eigenen Haus an unlösbaren Anforderungen scheitern?
Mit diesen Fragen lösen wir den Blick von der Softwareentwicklung und richten ihn auf das Unternehmen selbst. Das Instrument der Business Story hilft uns, Kriterien festzulegen: für die gewünschte Wirkung, die Evaluation oder, falls nötig, den Abbruch des Vorhabens. So können wir auf sicherer Grundlage entscheiden, wie wir vorgehen.
Die Business Story fokussiert auf die Wirkung
In der Business Story beschreiben wir die Wirkung, die wir uns für das Unternehmen wünschen. Wir schauen dabei auf die unterschiedlichen Interessengruppen (Stakeholder). Das sind alle Beteiligten, die vom Produkt in irgendeiner Weise betroffen sein können, an erster Stelle natürlich die Neu- und Bestandskund:innen, aber zum Beispiel auch die Geschäftsführung, Produktion, IT und Marketing. Wir formulieren nicht nur die voraussichtliche positive Wirkung (Nutzen), sondern wir prüfen auch, ob eine negative Wirkung (Schaden) entstehen kann.
Beim Beispiel des Marmeladen-Konfigurators könnten unsere Personas folgende Wirkungen spüren: Während sich Nina Neukunde über die kreative Möglichkeit freut und ihre individuelle Geschmacksrichtung begeistert zusammenstellt, ist Stefan Stammkunde von den neuen Möglichkeiten und dem etwas komplizierteren Bestellvorgang genervt. Paul Produktion muss unter Hochdruck einen anspruchsvollen Produktionsprozess etablieren, während sich Susanne Wickler, unsere Softwareentwicklerin, über die neue Herausforderung freut.
Hypothesen, um den gewünschten Effekt zu prüfen
Ob und in welchem Umfang sich die gewünschte Wirkung unseres Marmeladen-Konfigurators tatsächlich einstellt, lässt sich erst nach dem Release der Software unter echten Bedingungen feststellen. Dann könnten wir aber schon viel zu viel Geld und Zeit in ein nicht richtig funktionierendes Produkt gesteckt haben. Wir formulieren deshalb Hypothesen, was wir tun müssen, um die gewünschte Wirkung zu erzielen - und wie wir den Effekt überprüfen.
Beim Marmeladen-Konfigurator sollen monatlich die Anzahl der Bestellungen, das Kundeninteresse, der Umsatz und die Produktionskosten evaluiert werden. Sollte eine Mini-Marketingkampagne zur Einführung des neuen Tools weniger als fünfzig Bestellungen auslösen oder sollten 50 Prozent höhere Produktionskosten entstehen, dann bedeutet das den Abbruch des Vorhabens.
Chancen, Risiken und Erfolgsindikatoren
Wir betrachten außerdem Chancen, die unser Vorhaben zusätzlich fördern können. In unserem Beispiel könnten wir den Konfigurator auf andere Produkte ausweiten, zum Beispiel auf individuelle Fruchtweine. Zudem untersuchen wir die Risiken, die unseren Erfolg hemmen könnten.
Unsere Erfolgsindikatoren schließlich schaffen beim Entwicklungsteam, den Kund:innen und den Stakeholdern ein gemeinsames Verständnis dafür, wie gut die Planung aufgegangen ist. Die Nachfrage und die Zufriedenheit unserer Marmeladen-Käufer:innen zeigen in unserem Beispiel, wie erfolgreich das Projekt ist.
Fazit: Schneller Wert schaffen
Unser Fazit lautet unterm Strich: Business Storys helfen dabei, schneller Wert zu schaffen. Denn oft ist es in der agilen Softwareentwicklung so, dass Entwicklungsteams und Kund:innen zu sehr auf die Ergebnisse von Sprints und die dabei entstehenden Inkremente schauen. Business Storys helfen, die Aufmerksamkeit wieder auf die Wirkung zu lenken, die ein Produkt auf alle Interessengruppen haben kann.
Auf diese Weise können wir schneller funktionsfähige Teilprodukte schaffen. Deren großer Wert liegt darin, dass wir ihre Wirkung schnell feststellen können. So erhalten wir immer eine gute Entscheidungsgrundlage für unser weiteres Vorgehen.
Ulf Mewe
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Ulf Mewe berät und unterstützt IT-Unternehmen, Fachbereiche und Teams in den Bereichen Anforderungsmanagement, agiles Projektvorgehen sowie mit Blick auf ihre Organisation. Dabei steht die Weiterentwicklung von Menschen und Organisationen immer im Vordergrund, um Arbeit wertvoller zu machen. Als Sprecher auf verschiedenen Konferenzen und als Dozent an der Hochschule Bremen profitiert Ulf von mehr als 15 Jahren Erfahrung im agilen Anforderungsmanagement und in agilen Projekten. Dieses Wissen teilt er gerne mit anderen.