Methoden und Wissen
Ein gemeinsames Stück Software
29. August 2019 / Annekathrin Gut
Ein gemeinsames Stück Software: Entwicklung einer Klientenverwaltung
In einem Sprint-Meeting tasten sich Katharina Kähler vom Verein für Innere Mission in Bremen und ein Azubi-Projektteam der HEC an eine neue Funktion heran. Soll die Klientenübersicht einen Filter bekommen? Und wie könnte der aussehen? Es geht um eine Software, die dem gemeinnützigen Verein helfen soll, seine Klienten – Geflüchtete in der Erstaufnahmeeinrichtung für unbegleitete minderjährige Ausländer*Innen – zu erfassen und von der Unterkunft bis zur medizinischen Betreuung in die richtigen Maßnahmen zu leiten.
Kundin plus Auszubildende: Das ist ein neues Modell, mit dem die Nachwuchsentwicker der HEC lernen sollen, Kunden-Projekte möglichst eigenständig umzusetzen. „Gefühlt sind wir zu 65 Prozent fertig“, beschreibt Auftraggeberin Katharina Kähler zufrieden den Projektfortschritt zur Halbzeit. „Das sieht schon sehr plastisch aus.“
Malte Böttcher und Taylan Bacakci sind beim Start Anfang des Jahres im ersten beziehungsweise zweiten Ausbildungsjahr. Unterstützt werden sie von Malin Schürmann als Scrum Masterin, die im März nach ihrem Studium zur HEC gekommen ist. Ein paar erfahrene Kollegen schauen dem jungen Team über die Schulter, beispielsweise um die Qualität des Codes sicherzustellen und den jungen Kollegen bei Bedarf die richtigen Tipps zu geben. „Man lernt viel, wenn das Leute begutachten, die Ahnung haben“, sagt Malte Böttcher.
Dass so eine individuelle Software entsteht, ist alles andere als selbstverständlich. Katharina Kähler, die Bereichsleiterin für die Kinder- und Jugendhilfe bei der Inneren Mission, stand vor der Aufgabe, die speziellen Prozesse ihrer Klientenverwaltung besser zu digitalisieren, als das die heutige Standardsoftware der Bremer Sozialbehörde könnte. Die neue Software soll Prozesse transparenter machen, den formalen Aufwand reduzieren und revisionssicher dokumentieren.
Ein ungewöhnlicher Weg
„Dafür haben wir einen ungewöhnlichen Weg gefunden“, erklärt Katharina Kähler das Azubiprojekt. „Sonst hätten wir uns das nicht leisten können.“ Die HEC verrechnet nämlich nur die von den erfahrenen Kollegen geleisteten Stunden. Den Aufwand der Azubis verbucht sie als Ausbildungsinvestition.
Der Start ins Projekt war für die Azubis nicht einfach. „Die ersten paar Wochen waren pure Überforderung“, erinnert sich Malte Böttcher. „Vor allem technologisch.“ Weder er noch Taylan Bacakci hatten zuvor mit der Programmiersprache TypeScript oder den Webapplikations-Frameworks Angular und Spring Boot gearbeitet.
„Wir mussten uns am Anfang sehr viel beibringen“, erzählt Taylan Bacakci. „Wir haben uns Tutorials angesehen, gegoogelt und uns Hilfe bei den HEC-Kollegen geholt. Das klappt hier ganz gut, jemanden zu finden, der hilft.“ Am Anfang hätten sie auch vergessen, Zeit für das Testen der Anwendung einzuplanen – etwas, das geübte Kollegen sicher mitbedacht hätten.
Bei aller Unterschiedlichkeit im Vorgehen – die logische Denke der IT, die menschenorientierte Denke des Sozialwesens – hat Katharina Kähler interessante Parallelen bei den agilen Arbeitsmethoden festgestellt: „Für mich war Scrum methodisch etwas Neues, in dem ich aber viel Bekanntes wiedergefunden habe. Nur dass die Kinder anders heißen.“ Malte Böttcher freut sich über den Lernfortschritt unter realen Bedingungen: „In der Theorie ist Scrum die perfekte Welt. Aber das lernt man nur, wenn man es wirklich macht.“
Die Azubis und die Kundin sind Lernende
Inzwischen haben die Azubis nicht nur funktionierenden Code vorzuweisen, sondern ein richtiges Programm, in dem sich herumklicken lässt. Im Oktober soll das Kollegium der Inneren Mission die Test-Version mit echten Daten durchspielen – und dann auch die neue Suchfunktion benutzen. „Eine Anwendung, die wir selber gemacht haben und die läuft“, sagt Taylan Bacakci. „Es ist ein gutes Feeling, wenn man vom Kunden hört: Das funktioniert.“
Der endgültige „Go-live“ ist für Januar 2020 geplant. Für sie als Kundin sei das Azubiprojekt genau richtig gewesen, resümiert Katharina Kähler, gerade weil es etwas langsamer vorangegangen sei: „Nicht nur die Azubis sind Lernende, auch ich.“ Schritt für Schritt konnte sie verstehen, wie ein Entwicklungsprozess aufgebaut ist. „Ich finde es auch für das soziale Miteinander eine schöne Methode. Wir haben ein Stück Software gemeinsam entwickelt.“
Wie das Projekt entstand
Das Azubiprojekt haben Markus Tholema und Bärbel Rolfes, Digitalisierungsberater und Anforderungsmanagerin bei der HEC, eingefädelt. „Bärbel und ich überlegten, wie kann das anders gehen, dieses Projekt zu finanzieren?“, erzählt Markus Tholema. „Wir fanden so toll, was die für die jugendlichen Geflüchteten machen.“ Beide sahen zudem die Chance, dass Auszubildende in einem solchen Projekt eigenständiger lernen könnten als sonst. Das Projekt für die Innere Mission ist inzwischen eine Blaupause für weiteres Lernen mit Kunden. Das nächste Projekt dreht sich um den Verein Clubverstärker.