Trends und Technologien
Mensch und virtuelle Welt
11. Februar 2020 / Annekathrin Gut
Typisch Bremen, draußen ist es regnerisch und grau. Doch Lucia Mendelova sieht drei strahlende Sonnen. „Dieser Moment, wenn man die Virtual Reality-Brille aufsetzt und man ist in dieser zuvor selbst geschaffenen Welt drin…“, schwärmt die 3D-Designerin. Vor etwa sieben Jahren probierte sie zum ersten Mal ein VR-Headset aus. Heute hat sie die Faszination zu ihrem Beruf gemacht und entwickelt für die Kunden der HEC Lösungen in Augmented Reality (AR) und Virtual Reality (VR).
Auch ihr Kollege Dennis Hoffmann war „total angefixt", als er während seines Studiums die erste Entwicklerversion der Oculus Rift testete: „Ab dem Punkt habe ich nichts anderes mehr gemacht.“ Den beiden Designern geht es aber nicht nur um Faszination, sondern auch um Empathie: Wie wirken die neuen virtuellen Technologien auf Menschen? Damit haben sie sich unter anderem während in ihrem Studium „Digitale Medien“ an der Hochschule für Künste Bremen beschäftigt.
Sound und Schatten
Von links rollt ein holografisch erzeugtes Rad ins Blickfeld des Users und passt sich genau dem vor ihm stehenden echten Auto an. Dazu erklingt ein surrender Sound. Der Autobesitzer, der sich mit Hilfe einer Augmented Reality-Brille neue Felgenmodelle auswählen will, wendet den Blick intuitiv der Quelle des Geräusches zu. Genauso hat sich Lucia Mendelova das für die Anwendung eines großen deutschen Automobilherstellers vorgestellt. „Dort, woher das Rad hereingerollt kommt, gibt es ein riesiges Regal mit Felgen“, erklärt die 36-Jährige. „Indem wir 3D-Sound verwenden, helfen wir den Leuten, sich zu orientieren.“
AR- und VR-Technologien sind faszinierend, weil sie unseren Körper unmittelbar mit dem digitalen Medium verbinden. Das hilft, komplexe Zusammenhänge zu verstehen. Gleichzeitig brauchen die Nutzer Unterstützung, damit sie sich im erweiterten oder gänzlich virtuellen Raum nicht verlieren. Sound ist ein wichtiges Mittel, um Aufmerksamkeit zu steuern. Licht ist ein weiteres.
Aufgabe der 3D-Artists ist es, dem Nutzer ein Umfeld zu schaffen, das ihm möglichst vertraut vorkommt und in dem er sich deshalb wohlfühlen kann. „Bei ersten Projekten habe ich gemerkt, wie komisch etwas ohne Schatten aussieht“, erzählt Lucia Mendelova. „Ich bin sehr viel in den Wald gefahren und habe beobachtet, wie sich das Licht durch die Bäume bricht. Wie unglaublich perfekt die Natur ist!“
Für die VR-Anwendung des Bauträgers INTERHOMES hat ihr Kollege Dennis Hoffmann die Lichtverhältnisse zur Mittagszeit nachempfunden. In der virtuellen Musterwohnung werfen Sofas, Stühle, Küchenarmaturen und Tischdekorationen exakt die richtigen Schatten. Wohlgemerkt: Den dort gezeigten Neubau gibt es noch gar nicht. Aber die Nutzer können trotzdem schon ausprobieren, ob sie sich darin zu Hause fühlen.
Selbstbestimmt bewegen
Besonders in der Virtual Reality entsteht die Faszination dadurch, dass der Mensch die künstlich geschaffene Welt real erleben kann. Für die Designer bringt das eine weitere Herausforderung mit sich, sagt Dennis Hoffmann: „Es ist wichtig darauf zu achten, dass die visuelle Wahrnehmung nicht im Konflikt steht mit dem, was der Körper grade macht.“ Denn das kann im schlimmsten Fall zur „Motion Sickness“ führen.
Damit das nicht passiert, hat der 33-Jährige verschiedene Lösungen entwickelt: „Der Nutzer braucht vor Allem das Gefühl, seine Bewegungen selbst steuern und kontrollieren zu können. Dabei sollten Bewegungen in der realen und der virtuellen Welt exakt übereinstimmen.“ Bei Bewegungen hilft es, wenn ein fixer Bezugspunkt vorhanden ist. In einem Auto wäre das zum Beispiel der Fahrzeuginnenraum.
Blumengeste und Superman
Wer ein AR- oder VR-Headset bedienen will, muss entweder einen Controller zur Hand nehmen oder eine eher gewöhnungsbedürftige Geste ausführen: die Hand öffnen, um mit der „Blumengeste“ ein Menü zu öffnen oder den Arm ausstrecken, um wie Superman zum Fliegen abzuheben. Je nach Hersteller gibt es unterschiedliche Varianten, aber noch keinen Standard.
In Zukunft werden wir AR- und VR-Anwendungen ähnlich intuitiv bedienen, wie wir heute mit dem Finger über das Smartphone streichen. Davon ist Lucia Mendelova überzeugt: „Wir stehen jetzt am Anfang, dass man schon in den Consumer-Versionen von VR-Brillen gar keine Controller mehr benötigt, sondern alles per Handsteuerung machen kann.“ Die promovierte Philosophin, die an der Universität Bratislava kognitive Prozesse untersucht hat, setzt auf die neuronale Plastizität unserer Synapsen, Nervenzellen und Hirnareale. „Das Gehirn lernt sehr schnell.“
Verantwortung für Menschen und Zukunft
Als Designer sehen sich die beiden 3D-Artists der HEC in einer besonderen Verantwortung. „So wie man Produkte gestaltet, hat das eine Auswirkung darauf, wie Menschen damit umgehen“, betont Dennis Hoffmann. „Gerade die digitalen Anwendungen dürften nicht dazu führen, Menschen gegen ihren Willen zu manipulieren.“ Sein Ziel ist es, Anwendungen zu entwickeln, die für die Nutzer uneingeschränkt nützlich sind. Wichtig ist ihm auch, jede neue AR- oder VR-Umgebung von einer realen Person testen zu lassen und deren Wirkung festzuhalten.
Lucia Mendelova sieht darüber hinaus in ihrer Arbeit die Chance für positive Veränderungen, etwa wenn es darum gehe, Stereotypen abzubauen und Lösungen zu entwickeln, die Menschen in ihrem Alltag unterstützen. „Wer, wenn nicht wir Designerinnen und Designer und wir Softwareentwicklerinnen und -entwickler, können uns mit dem komplexen Thema beschäftigen und Lösungen anbieten, die nachhaltig sind!“
Lucia Mendelova
kommt aus Bratislava (Slowakei) und arbeitet hauptberuflich als Software-Ingenieurin und Konzeptkünstlerin für AR- und VR-Anwendungen bei der HEC. Sie hat ihre Promotion in Philosophie (Comenius Universität Bratislava, 2013) und ihren Bachelor in Integrated Design (Hochschule für Künste Bremen 2013 und Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Luzern 2012) abgeschlossen. Ihr Master-Projekt zur immersiven Darstellung von Daten und Softwaremetriken in VR wurde von der HEC gefördert. Damit schloss sie 2016 den Studiengang Digitale Medien an der Hochschule für Künste Bremen ab.
Dennis Hoffmann
entwickelte für seine Bachelor-Arbeit eine VR-Anwendung für virtuelle Galerien, sowie ein mobiles Kamerasystem für das sogenannte Photogrammetrie-Verfahren. Damit lassen sich Objekte in 3D scannen und zu komplett neuen virtuellen Welten zusammensetzen. Das Projekt wurde von der HEC gefördert, und er erhielt 2018 den Frese-Design-Preis. Danach arbeitete Dennis Hoffmann in verschiedenen AR/VR-Projekten als 3D-Artist bei der HEC.