Auf dem Bild ist ein großer LKW zu erkennen. Das Gehäuse des LKWs ist in einem knallige Gelbton gehalten.

Methoden und Wissen

Parship für schwere Laster: Big Move geht Digitalisierung an

16. Mai 2019 / Annekathrin Gut

Wer Olaf Beckedorf im idyllischen Harmstorf bei Hamburg besucht, glaubt kaum, dass hier die Zentrale der europaweit tätigen Schwerlastvereinigung BigMove AG ansässig ist. Keiner der Speziallaster vom Typ „Chamäleon“ oder „Traumschiff“ käme hier um die Kurve. Und dennoch ist das für den Vorstandsvorsitzenden der perfekte Ort, um sich um die Zukunft der Branche zu kümmern. Diese sieht Olaf Beckedorf im Digitalen. Lösungen will er gemeinsam mit Heiko Müller, Experte für digitale Transformation bei der Bremer HEC IT-Engineering, entwickeln. Ein Gespräch über Herausforderungen und mögliche Lösungen.

Herr Beckedorf, welchen Vorteil bringt der Zusammenschluss BigMove den 13 beteiligten Schwerlastlogistik-Unternehmen?

Olaf Beckedorf: Die mittelständischen Einzelunternehmen unseres Netzwerks können nicht die Komponenten eines gesamten Kraftwerks bewegen, wir als Gruppe können es aber. Daraus sind Synergien entstanden, wie die standardisierten Flottenfahrzeuge. In der BigMove-Gruppe gibt es inzwischen mehr als 300 solcher Fahrzeuge. Das macht zum Beispiel Genehmigungsprozesse leichter. Wir sind jetzt praktisch eine Projektspedition mit eigenem Fuhrpark und können in Europa Kunden in einer entsprechenden Größenordnung inklusive der Re- und Demontage bedienen. Die weiteren Vorteile von BigMove liegen klassisch im Einkauf. Dann aber auch darin, dass wir strategisch überregionale Prozesse anschieben können, zu denen wir als Einzelunternehmen wahrscheinlich gar nicht in der Lage wären. Dazu gehören auch die Digitalisierungsprojekte.

Heiko Müller: Viele mittelständische Logistikunternehmen kaufen Softwareprodukte, die am Markt vorhanden sind. Damit nehmen sie sich ganz viel Potenzial, weil diese Produkte einen Standard vorgeben. Viele kleinere Unternehmen hätten gerne individuelle Lösungen, können das aber zeitlich, von der Manpower her und monetär nicht wuppen. Da hat ein Zusammenschluss Vorteile.

Bild von zwei Männern, die nebeneinander sitzen
von links: Heiko Müller (HEC) und Olaf Beckedorf (BigMove)

Wie steht es aus Ihrer Sicht um die Digitalisierung in der Projektlogistik?

Beckedorf: Wir ‚können‘ noch nicht umfassend digital in der Fuhrbranche. Das ist aus meiner Sicht die Realität. Es gibt inzwischen ein Startup-Unternehmen, das sich genau zwischen uns und den Kunden gesetzt hat. Er digitalisiert den Einkaufs- und den Verkaufsprozess, den wir digital nie abgedeckt haben. Die Preise sind gut, die Zuverlässigkeit ist super und Leerfahrten werden vermieden. Wenn wir nicht aufpassen, sagen uns die Plattformanbieter demnächst wie wir agieren müssen.

Plattformen für die Logistik gibt es also schon. Was ist das Besondere am ‚High and Heavy‘-Bereich?

Müller: Für Stückgut funktionieren solche Anwendungen schon ganz gut. Aber das sind Standards. Die Ware ist palettiert, containerisiert, hat begrenzte Gewichte. Die Möglichkeiten der Kombinatorik  sind sehr viel leichter zu handeln als im Schwerlast-Bereich. Dort sind die Restriktionen sind sehr viel komplexer. Ein Standard-Supply-Management-Programm deckt die spezifischen Anforderungen nicht ab.

Wie lassen sich Prozesse trotzdem digitalisieren?

Beckedorf: Bei BigMove haben wir mit der Standardisierung begonnen, zum Beispiel mit den Flottenfahrzeugen aber auch mit Preisklassen für bestimmte Transportvolumen. Ich versuche mit dieser Preisstruktur den Markt aufzubrechen. Standardisiert sind auch die Genehmigungsverfahren oder das Know-how der Disponenten. Wenn wir zukünftig eine Plattform haben, wissen wir, wo die passenden Fahrzeuge von Mitgliedsunternehmen unterwegs sind. Das ermöglicht uns, Leerfahrten in einem erhöhten Maße zu vermeiden, um so attraktive Preise am Markt zu erzielen. Das digital abzubilden, auch über Apps, könnte den Disponenten die Vorausplanung ermöglichen.

Müller: Standardisierung greift über Fahrzeuge, über Routen, über Genehmigungsverfahren. Da geht Digitalisierung gut. Was weniger standardisierbar ist, ist das Schwergut selber. Da muss sich die Branche auf das einstellen, was ein Kunde gerade zu transportieren hat, sei es ein Bagger, eine Kraftwerkskomponente oder Gondeln von Windkraftanlagen. Entscheidend ist, Plattformen zu schaffen, die effiziente Kommunikation ermöglichen und daran anschließende Prozesse zu digitalisieren – zum Beispiel Disposition, Auslastung und Genehmigungen miteinander zu koppeln.

Bild eines beleuchteten LKW's bei Nacht des Unternehmens BigMove

Um eine gemeinsame Plattform zu schaffen, müssen Unternehmen Informationen preisgeben. Tut sich die Branche damit schwer?

Beckedorf: Das Gönnen-Können ist in der Branche nicht wirklich verbreitet. Wir müssen uns über mehr Transparenz Gedanken machen. Unsere Prozessplanung muss schon ganz früh anfangen, um Leerfahrten zu vermeiden. Sobald der Auftrag im Hause ist, müssen wir uns über eine digitale Schnittstelle austauschen können, um geeignete Fahrten innerhalb unserer Gruppe sinnvoll matchen zu können.

Müller: Die Menge an Transporten ist ein Netz, das beliebig zu strukturieren ist: von Fahrten, Anschlussfahrten und entsprechenden Kombinationen. Die Lösung muss es sein – und da helfen digitale Mittel – dieses Netz im Sinne der Beteiligten zu optimieren. Diese müssen einen sofortigen Nutzen erkennen, damit sie bereit sind, ihre Aufträge dort reinzugeben. Der Ergebnisbeitrag muss höher sein, wenn ich es publiziere, als wenn ich es selber mache.

Beckedorf: Heute hat ein Disponent das alleinige Know-how. Er managt den Fuhrpark alleine und erzielt meist einen Anteil von 50 Prozent Leerfahrten. Immer weniger Spezialisten haben so viel Wissen und Erfahrung, dass sie den Leeranteil auf 30 bis 20 Prozent reduzieren können.

Wie bekommt man denn das Erfahrungswissen aus den Köpfen ins digitale Netzwerk?

Müller: Das Transportgewerbe ist ein sehr komplexes Gebilde. Die Menge der Parameter und der Abhängigkeiten ist einfach zu groß, als dass man sie im Kopf entflechtet, auch nicht mit einem Standardprogramm wie zum Beispiel Excel. Wir wollen ja erreichen, dass auch der normale Mitarbeiter ein gutes Ergebnis liefert. Also müssen wir die Informationen in eine digitale Plattform bringen, so dass ein Rechner sie nach bestimmten Kriterien optimieren kann. Das Digitale hilft uns, die Menge der Daten zu verarbeiten, die Komplexität zu nehmen und geeignete Anschlussaufträge zu finden…

Beckedorf: …und das Matching auf den Punkt zu bringen. Parship für unsere Logistikprozesse gibt es noch nicht. Solche Algorithmen fehlen uns. Wenn du eine Transportmöglichkeit nicht findest, dann schlägt dir das System die nächstmögliche Alternative vor. Bisher geht nur das, was du im Kopf hast, oder wen du auf deiner Telefonliste findest. Ich habe früher an manchen Tagen 200 bis 300 Telefonate mit Kollegen geführt.

Müller: Die Daten, die dort eingegeben werden, müssen einem minimalistischen Grundsatz folgen. Das müssen die Kerndaten sein, die den Transportauftrag insoweit charakterisieren, dass ein Dritter entscheiden kann, ob er für ihn geeignet ist oder nicht. Und dann muss diese digitale Plattform die geeigneten Ergebnisse auswerfen, die tatsächlich zu einer Zusammenarbeit führen.

Zwei Männer unterhalten sich.
von links: Heiko Müller (HEC) und Olaf Beckedorf (BigMove)

Es führt also kein Weg daran vorbei, dass sich die Branche auf digitalen Plattformen zusammenschließt?

Beckedorf: Die Unternehmen verkennen aktuell den Markt. Wir sind sehr regional orientiert. Das klappt aber nur, solange es echt viel zu tun gibt. Wenn ich überregional tätig werden muss, dann brauche ich Partner und so ein Netzwerk.

Müller: Ich glaube, daran geht kein Weg vorbei. Heute versteht die Branche vielfach ihr Asset darin, dass LKW, Disponenten und Fahrer da sind. Zukünftig wird ein Schwerpunkt auf den Daten liegen. Gerade wenn es darum geht, Prognosen zu machen und die Auslastung zu optimieren, brauche ich Informationen, auf deren Basis ich planen kann. Diese Auswertung macht dann nicht der Disponent in seinem Kopf, sondern der Rechner. Ich bin davon überzeugt, dass Datenauswertung – vielleicht auch unterstützt durch Künstliche Intelligenz – helfen kann, Dispositionslücken besser zu schließen und optimale Transportkonstellationen zu finden. So kann man neben Know-how den Kunden bessere, günstigere und auch transparentere Konditionen anbieten.

Beckedorf: Auswertung ist ein wichtiges Thema. Das konnten wir bis dato zu wenig in der Branche. Wir haben auch gar nicht die richtigen Mittel. Digitalisierung ist ein echtes Pfund, das wir für die Branche brauchen. Wir wissen gar nicht, wie effizient wir sind. Im Grunde brauchen wir in der Logistikbranche genau die Optimierung, die Google mit uns im Straßenverkehr macht, wenn wir von A nach B wollen.

Welches Potenzial gibt es für die Entwicklung innovativer Geschäftsprozesse?

Müller: Wir müssen im Grunde den Investitionsstau der letzten zehn bis 15 Jahre aufnehmen. Wir müssen verstehen, wo genau die Schmerzen liegen und mit welchen digitalen Mitteln wir sie lindern können. Die Branche ist dann aber nicht mehr Befehlsempfänger – „Transportiere mir mal den Kran von A nach B.“ – sondern kann sich selber als aktives Moment einbringen. Sie kann mit einem längeren Planungsvorlauf, den sie schon aufgrund der Genehmigungsverfahren braucht, Kapazitäten anbieten und bessere Touren planen.

Sind Sie zuversichtlich für den Digitalisierungsprozess in der Branche?

Beckedorf: Selbstverständlich. Wir haben in den letzten 15 Jahren schon mehrere Ansätze gemacht. Bisher fehlte der richtige Dienstleister, der verstanden hat, dies umzusetzen. Das sind innovative Bereiche. Überall, wo wir digital Daten für unsere Prozesse aufgreifen können, verschafft uns das mehr Wissen.

Müller: Für uns als Anbieter individueller Softwarelösungen ist es extrem wichtig, dass wir Projektpartner finden, die innovativ denken, die auch tradiertes Vorgehen in Frage stellen. Was uns interessiert sind Kunden, mit denen wir gemeinsam überlegen können, mit welchen digital gestützten Lösungen wir einen Mehrwert erzeugen können. Wir wollen ja nicht noch eine Plattform bauen, sondern Prozesse insgesamt verbessern. An dem Thema ‚High and Heavy‘ können wir zeigen, dass die Logistik Vorreiter sein kann.

Beckedorf: Digitalisierung kann uns helfen, eine Lobby zu schaffen. Schwerlasttransport ist im Sinne der Verkehrsbelastung nicht sexy, aber unser Geschäft ist für jeden Bürger wichtig. Je mehr Transparenz, Standardisierung und Lösungen für logistische Herausforderungen wir anbieten, desto mehr haben wir eine echte Chance gegenüber der Bevölkerung, aber auch der Bundesregierung und der Industrie. Vielleicht können wir dann manche Prozesse, wie zum Beispiel die Genehmigungsverfahren, gemeinsam anders gestalten oder beschleunigen.

Logo des Unternehmens BigMove

Die BigMove AG, der Zusammenschluss führender Schwergutlogistiker, wurde 2004 gegründet. Er unterhält spezialisierte, regionale Präsenzen in Europa. Als Projektspedition bietet er die europaweite Abwicklung von komplexen Transportaufträgen aus einer Hand an. Dazu gehören im 24-Stunden-Service die Übernahme sämtlicher Speditionsleistungen, multimodale Transportlösungen, Lagerhaltung und Kranarbeiten, sowie die Verlagerung von Produktionsstätten. Die standardisierten Flottenfahrzeuge können vernetzt und auf das Transportgut angepasst eingesetzt werden.