Trends und Technologien

Was macht IT-Start-ups langsam?

13. April 2021 / Annekathrin Gut

…und wie können sie ihr Tempo halten

Was macht IT-Start-ups langsam?

Viele Innovationen in der Softwareentwicklung werden von ideenreichen Start-ups vorangetrieben. Die Neugründungen gelten als schnell und flexibel. Warum eigentlich? Und stimmt das in jedem Fall? Es gibt  den Zeitpunkt, an dem IT-Start­ups durchfinanziert sind und in die Wachstumsphase gehen. In kurzer Zeit müssen sie eine funktionierende Entwicklungsmannschaft zusammenstellen. Wie können IT-Start-ups in der zweiten Phase ihre Time-to-market verbessern und trotzdem qualitativ hochwertige Software anbieten? Die HEC-Experten Heiko Müller, Ulf Mewe, Markus Tholema und Tim Soller empfehlen zum Beispiel Joint Development, externe Expertise und die Konzentration auf das, wofür die Gründer:innen eigentlich brennen: ihre richtig coole Softwarelösung voranzutreiben.

Heiko Müller, HEC GmbH

Joint Innovation wagen

„Es gibt den Zeitpunkt, an dem IT-Startups durchfinanziert sind und in die Wachstumsphase gehen. In kurzer Zeit müssen sie eine funktionierende Entwicklungsmannschaft zusammenstellen. Da gute IT-Expert:innen so rar sind, rekrutieren sie Personal in aller Welt. Das macht langsam, weil die Gründer sich mit Recruiting- und Staffing-Prozessen auseinandersetzen müssen. Sie können sich nicht auf ihre Kernaufgabe konzentrieren, darauf, ihre außergewöhnliche Lösung weiterzuentwickeln, Investoren zu bedienen und sich mit Kunden zu beschäftigen. Das reibt viele Gründer auf.

Eine Idee wäre, dass sich IT-Startups der Open Innovation öffnen und anfangen, partizipativ zu entwickeln. Solches Joint Development ist in der Industrie ganz üblich. Große Automobilmarken wie Daimler, BMW und VW kooperieren häufig mit Dienstleistern. Deren Geschäftsmodell ist nicht, neue Produkte an den Markt zu bringen. Sie sind vielmehr Experten im IT-Engineering. Diese kooperative Zusammenarbeit könnte die Time-to-Market von IT-Start-ups deutlich beschleunigen und die Qualität der Entwicklung erhöhen. Natürlich braucht das Startup dafür einen IT-Dienstleister, der eine agile DNA mitbringt.“

Heiko Müller, Logistik-Beratung

Markus Tholema, HEC GmbH

Entrepreneurship leben

„Grundsätzlich sind IT-Start-ups natürlich erstmal deutlich schneller als wir. Was Start-ups ausmacht, ist das Entrepreneurship. Da ist Jemand, der bringt seine Idee nach vorne. Dieser Jemand hat spezielles Wissen in einem Themenbereich, sprüht vor Ideen und will oft alles gleichzeitig durch die Tür kriegen. Ich habe selbst Bekannte, die unglaublich für ihre Idee brennen.

Am Anfang funktioniert das gut. Die ersten Themen sind schnell umgesetzt, aber dann fehlt es irgendwann an Struktur, an der richtigen Priorisierung, an der Verprobung am Markt. Die Produktentwicklung kann dem wachsenden Ideenpool nicht mehr gerecht werden. Im schlimmsten Fall ist das Produkt dann halb fertig – aber für den Rest ist kein Budget mehr da.

Manche dieser halbfertigen Produkte sind interessant für die großen Firmen. Die übernehmen die Start-Ups und machen deren genialen Ideen marktreif. Für viele Entrepreneure war das in der Vergangenheit gar nicht die schlechteste Lösung. Sie haben wieder Raum, sich anderen Ideen zu widmen.“

Markus Tholema, Digitalisierungsberatung

Ulf Mewe

Von erfahrenen Partnern profitieren

„Was ist wichtig für Startups? Das ist doch vor allem die Time-to-market. In der ersten Phase wollen Start-ups ihre Idee schnell als Produkt umsetzen, um zu sehen, ob jemand dafür Geld ausgibt. Da ist es gut, wenn Strukturen informell sind, das Produkt noch flexibel ist und man im Markt Erfahrungen sammeln kann. Zu diesem Zeitpunkt muss Qualität vor allem nach außen gegeben sein, aber noch nicht so sehr nach innen. Solange ich noch nicht weiß, ob jemand das Produkt braucht, nutzt es nichts, in Schönheit zu sterben. Ich muss es „quick and dirty“ umsetzen und ausprobieren.

In der zweiten Phase geht es darum, das Produkt groß zu ziehen. Kritisch wird es dann, wenn ich nicht so schnell sein kann, wie ich möchte. Etwa weil ich als Start-up zu lange brauche, um eine Entwicklungsmannschaft aufzubauen, oder wenn ich Fehler mache, wie sie etablierte Unternehmen schon längst hinter sich haben. Dann werden oft technische Schulden aufgebaut. Und wie wirst du die wieder los?

In dieser Phase ist eine andere Expertise gefragt, bei der Start-ups von erfahrenen Partnern profitieren können. Zum Beispiel könnten sie Arbeitspakete für unkritische Aufgaben herausgeben, die sie nur belasten. Je nach Produkt können das zum Beispiel eine Rechnungserstellung, die Bestandsverwaltung oder die Versandbestätigung sein. Da gibt kein Start-up wichtiges Know-how raus. Für Airbnb ist die Buchungsbestätigung nicht das Alleistellungsmerkmal. Aber genau um dieses sollten sich die Entwicklungsexperten im Start-up überwiegend kümmern.“

Ulf Mewe, Anforderungsmanagement

Tim Soller, Anforderungsmanagement / Koordination KI-Team

Gute Prozesse managen

„Ob IT-Start-ups tatsächlich immer so schnell sind? Möglicherweise kommt das Image daher, dass die Gründer so viel arbeiten. Der Drive ist enorm hoch. Da liegt der Fokus weniger auf Qualität im Sinne einer deutschen DIN-Norm, sondern darin, schnell ein Produkt zu entwickeln, auf den Markt zu bringen und Geld zu verdienen. Start-ups können viel leichter auf Marktveränderungen eingehen. Das ist ein Riesenvorteil.

Schnell macht sie auch, dass es keine Prozessstruktur gibt, keine Hierarchien und alles sehr informell ist. Die sitzen teils mit fünf Leuten an einem Tisch. Das spart sehr viel Zeit. Würde man einen Prozessrahmen wie Scrum etablieren, dann bräuchte man erstmal deutlich länger.

Start-ups wollen ihr Ding nach vorne bringen und nicht drei neue Jobs lernen. Damit meine ich die nicht explizit entwicklungsbezogenen Prozesse: Es wird anfangs nicht viel Mühe darauf verwendet, eine gute Architektur, ein Anforderungsmanagement, das Design oder Teststrategien aufzubauen. Die begrenzten Ressourcen sind dabei ein Nachteil. Als Gründer hast du ein komplexes Job-Design und musst vieles machen, was du gar nicht richtig kannst. Neunzig Prozent der Start-ups scheitern. Das größte Risiko ist nach meiner Einschätzung die fehlende Erfahrung, besonders in der Softwareentwicklung, in der Prozesskompetenz und in der Marktkenntnis.

Wir brauchen die Start-ups! Ein Großteil der Innovationen am Markt kommt von Start-ups. Aber auf lange Sicht kriegen sie das häufig nicht gut hin. Jeder, der als Start-up erfolgreich sein will, sollte auch Wert auf die Qualität der Prozesse legen.“

Tim Soller, Anforderungsmanagement und Koordination KI-Team