Trends und Technologien
Was können Remote Teams?
19. November 2020 / Annekathrin Gut
Softwareentwicklung ist Teamwork – wobei das Team heutzutage an ganz unterschiedlichen Orten sitzen kann. Remote Work ist spätestens seit der Corona-Pandemie der Begriff der Stunde. Häufig buchen sich Unternehmen auch ganze Entwicklungsteams - sogenannte Remote Teams - hinzu, wenn große Projekte umgesetzt werden sollen.
Für einen niedersächsischen Finanzdienstleister entwickelt HEC Berater Markus Tholema mit seinem Team eine Frontend-Anwendung. Seit drei Jahren wird die Arbeit von Bremen aus erledigt. Kollege Thomas Eilermann arbeitet seit knapp sieben Jahren für dasselbe Unternehmen, und zwar vier Tage pro Woche vor Ort in Braunschweig. Bis die Corona-Pandemie kam. Von jetzt auf gleich ist auch Thomas zum Remote Worker geworden.
Softwareentwicklung auf Distanz zum Kunden - das funktioniert erstaulich gut, haben die Kollegen festgestellt. Im Gespräch aus ihrem jeweiligen Homeoffice heraus haben Markus und Thomas ihre ganz persönlichen Erfahrungen mit unterschiedlichen Remote Teams bei demselben Kunden geschildert.
Wie hat sich eure Zusammenarbeit mit dem Kunden zuletzt verändert?
Markus: Unser Kunde war immer felsenfest davon überzeugt, dass Projektarbeit nur vor Ort funktioniert. Als ich dort vor zehn Jahren angefangen habe, gab es überhaupt keine Diskussion darüber, anders als fünf Tage pro Woche dort vor Ort zu arbeiten.
Dass wir ihn dahin gebracht haben, dass das auch mit Remote Teams geht, ist ein riesiger Vertrauensschritt für solch einen Konzern. Und das wird auch nach Corona Bestand haben. Das Verhältnis von Präsenszeiten wird sich nahezu umkehren: ein Tag vor Ort, vier Tage in der HEC oder im Homeoffice.
Bringt denn Remote-Arbeit auch Vorteile mit sich?
Markus: Beide Seiten haben auf jeden Fall finanzielle Vorteile. Der Kunde spart pro Tag und Berater zirka 50 bis 60 Euro für Dienstfahrten. Jeden Montag fahren ungefähr 1.000 Leute von externen Dienstleistern aus dem ganzen Bundesgebiet zu unserem Kunden. Da kommt eine große Summe zusammen! Und die HEC als Dienstleister: Anfahrt, Spesen und Unterkunft müssen nicht mehr bezahlt werden. Und am Ende ist das ja auch gut für die Klimabilanz.
Und wo ist es schwierig?
Markus: Es gibt nur wenige Themen, an denen es stockt – und an denen stocken wir hier in der HEC auch. Das ist das Treffen an der Kaffeemaschine, bei dem Informelles und Persönliches, das dennoch wichtig ist, ausgetauscht wird. Das ist bei unserem Kunden fast noch wichtiger als bei uns.
Thomas: Auch Vertriebliches, wie: Bist du nachher noch mal kurz da? Die Arbeitsweise hat sich grundlegend verändert. Meetings finden jetzt über Skype statt. Ansonsten kommt es darauf an, in welcher Phase das Projekt ist. In meinem Fall waren das Projekt bereits initialisiert, die Leute waren schon im Doing.
Markus: Man kann die Kollegen aber sehr gut in ein virtuelles Meeting holen. Das ist, als ob man mal eben im Büro vorbeilaufen würde. Ansonsten bin ich im Homeoffice viel effizienter als jemals zuvor. Das war für mich überraschend.
Wie hat sich euer Alltag
verändert?
Thomas: In Braunschweig fing spätestens halb neun der Meeting-Marathon an. Da die Besprechungen beim Kunden auf mehrere Gebäude verteilt sind, bin ich dazwischen einige hundert Meter gelaufen. Am Tagesende habe ich häufiger 15.000 Schritte gemacht. Ich hatte also Gehpausen, Bewegung, frische Luft, Smalltalk.
Jetzt springe ich von Skype-Session zu Skype-Session ohne Pause dazwischen. Mir brummt abends schon der Kopf, wenn ich das Headset absetze.
Aber nach sechs Jahren, in denen ich beim Kunden vor Ort gearbeitet habe, ist es ein unheimlich schönes Gefühl, ein normales Familienleben mit gemeinsamem Frühstück und Abendessen zu führen.
Jetzt habt ihr über das „Wie“ erzählt, aber „Was“ macht ihr genau?
Thomas: Inhaltlich geht es um das Thema “Access- & Identitymanagement”, also um die Beantragung, Genehmigung und Verteilung von Berechtigungen. Ein einfaches Beispiel ist das Öffnen von Türen oder die Anmeldung am Computer. Dies hört sich zunächst simpel an, ist aber allein aufgrund der Größe des Unternehmens und der Mitarbeiteranzahl unheimlich komplex.
Das ist nicht nur operativ eine Herausforderung, sondern auch regulatorisch. Ein Sachbearbeiter darf beispielsweise nicht einen Kreditantrag genehmigen und gleichzeitig das Geld auszahlen. Dies muss sowohl prozessual als auch technisch sichergestellt werden.
Finden Aufsichtsbehörden wie die BaFin oder EZB mehrere schwerwiegende Verstöße bzw. sogenannte Findings, und werden diese nicht in einer festgelegten Zeit beseitigt, droht im worst case der Entzug der Bankenlizenz.
Welchen Umfang hat das Projekt denn?
Thomas: Wir sprechen hier von zirka 12.000 Mitarbeitern allein am Standort Braunschweig. Hinzu kommen noch mehrere Landesgesellschaften. Diese Mitarbeiter sind jeweils mit mehreren hundert Berechtigungen ausgestattet. Allein die Datenmenge erzeugt eine Komplexität, die es zu beherrschen gilt. Erschwert wird das Ganze dadurch, dass mehrere IT-Systeme in dem Prozess involviert sind. Ziel des Kunden ist es, diese Systeme bis Ende 2021 durch das AIM-Tool SailPoint IIQ zu ersetzen.
Wie wollt ihr das bewältigen?
Thomas: Der Kunde hat hierzu ein Programm aufgesetzt, welches aus sechs Projekten und einigen Teilprojekten besteht. Insgesamt arbeiten zirka 80 Vollzeitkräfte daran mit. Aufgrund der hohen Bedeutung hängt das Programm direkt unterm Vorstand.
Wir von der HEC unterstützen dabei mit acht bis zehn Kollegen. Hierbei sind wir in den verschiedensten Gebieten unterwegs. Beispielsweise sind wir mit drei Testern für die Qualitätssicherung verantwortlich, haben den Betrieb von einem Altsystem übernommen oder sorgen für eine ausreichende Datenqualität bei den Identitäten und Accounts. Ich selbst bin als Teilprojektleiter “Datenqualität” im Einsatz und baue außerdem das Betriebsteam auf.
Mal etwas naiv gefragt: Warum kann der Kunde das nicht selbst?
Thomas: Die Mitarbeiter dort haben nicht die Kapazität, weil sie das Tagesgeschäft erledigen müssen. Und man muss ja auch entsprechende technisch, fachliche oder methodische Skills mitbringen. Wir von der HEC bringen von allem etwas mit. Ich denke, diese Kombination macht uns aus und wird auch so vom Kunden wahrgenommen.
Markus, woran arbeitet euer Werkbank-Team?
Markus: Wir entwickeln mit zwanzig Leuten die Verkäufer-Arbeitsplätze, also die Frontends, die bei den Händlern in den Autohäusern am Arbeitsplatz stehen. Seit drei Jahren machen wir das auch remote. In dieser Zeit haben wir die Qualität der Entwicklung extrem verbessert. Unsere Herausforderung war anfangs: Wir haben eine Software übernommen, an der jeder schon mal dran war. Die Händler-Arbeitsplätze waren sehr störungsanfällig.
Aber wir haben einen hohen Qualitätsanspruch. Deshalb haben wir das Testen im Entwicklungsprozess sehr weit nach vorne geholt. Seitdem können wir Fehler schon früh beseitigen. Früher gab es zwanzig Prio-Störungen pro Livegang. Heute nur noch zwei.
Was begeistert euch an eurem Kunden?
Thomas: Man muss sich das mal auf der Zunge zergehen lassen: Mit den Systemen, mit denen wir umgehen, werden Milliardenumsätze gemacht. Es ist schon irgendwie cool, dass man da am „offenen Herzen“ arbeitet.
Markus: Ich bin sechs Jahre nach Braunschweig gependelt und war dort Projektleiter für sehr große IT-Projekte. Das war schon cool. Diese Größenordnung von Projekten kann man nur bei einem Konzern erleben!