Arbeit und Leben
Projekt flexigesa: Leitfaden für Gesundheits-management in IT-Unternehmen
10. Mai 2022 / Annekathrin Gut
Projekt flexigesa: Gesund in der IT
Gesundheitsmanagement geht im Team besser
Wie geht es dir denn heute? Morgens im Büro oder im Videomeeting wird das oft gefragt. Doch wie wichtig ist Gesundheit sonst in Unternehmen? Besonders wenn es um die psychischen Ressourcen geht? Das Theorie-Praxis-Transferprojekt flexigesa (Flexible Dienstleistungsarbeit gesundheitsförderlich gestalten) hat seit 2019 wissenschaftlich und praktisch erforscht, wie es um die Gesundheit von Beschäftigten in Dienstleistungsberufen in der Metropolregion Nordwest steht. Und es hat Strategien entwickelt, wie zum Beispiel IT-Unternehmen gut vorsorgen können.
Die HEC GmbH beteiligte sich am flexigesa-Projekt als Praxispartner für den IT-Sektor. Als zweite Branche waren mit der vacances GmbH die ambulanten sozialen Dienste dabei. In mehreren Umfragen wurden die psychischen Arbeitsbelastungen, die gesundheitlichen Ressourcen und die Bewältigungsmuster der Beschäftigten erhoben. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse bildeten die Basis, um gesundheitsförderliche Konzepte zu entwickeln. Diese „Interventionen“ wurden in Referenzbetrieben erprobt und Anfang Mai bei einer Fachkonferenz vorgestellt.
Wie IT-Unternehmen vom Gesundheitsmanagement profitieren
Beschäftigte in der IT-Branche erbringen Dienstleistungsarbeit. Diese erfordert ein hohes Maß an Flexibilität und bringt Belastungen mit sich. Der hohe Grad an Selbstorganisation („agiles Arbeiten“) in vielen Entwicklungsteams und die Arbeit mit Kund:innen sorgen für vielfältige Anforderungen. Selbststeuerung setzt eine intensive und reflektierte Kooperation voraus. Die Teammitglieder müssen konstruktiv mit Konflikten umgehen können – sei es im Team oder an den Schnittstellen zu Kund:innern und Führungskräften.
Das Arbeitsschutzgesetz verpflichtet Unternehmen dazu, alle mit der Arbeitstätigkeit verbundenen Gefährdungen oder Belastungen für die physische und psychische Gesundheit regelmäßig zu beurteilen. Das sollte aber nicht der einzige Grund sein, denn ein teamorientiertes Gesundheitsmanagement bietet wichtige Vorteile:
- Nicht nur die Gesundheit der Mitarbeitenden wird erhalten, auch die Arbeitszufriedenheit steigt. Das sorgt für mehr Attraktivität des Arbeitgebers – und das ist in Zeiten des Wettbewerbs um Fachkräfte ein wichtiges Ziel.
- Weniger Krankheit bedeutet weniger Kosten durch Ausfälle. Stattdessen nehmen die Produktivität und die Qualität der geleisteten Arbeit zu.
- Projekte zur Gesundheitsförderung steigern die Lernfähigkeit der Organisation und damit die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit.
- Wenn Gesundheitsförderung zur Querschnittsaufgabe wird, steigt die Identifikation mit dem Unternehmen.
- So wird Rechtssicherheit im Arbeitsschutz nicht nur von den Beauftragten für Betriebliches Gesundheitsmanagement sondern von allen Mitarbeitenden getragen.
Was IT-Unternehmen praktisch tun können
Bei Referenzbetrieben hat sich gezeigt, dass sich die von der HEC im flexigesa-Projekt entwickelten Maßnahmen auf andere Unternehmen in der IT-Branche übertragen lassen. Viele IT-Betriebe arbeiten bereits mit agilen Methoden und können besonders gut von den gemachten Erfahrungen profitieren.
Vier Beispiele für gesundheitsförderliche Maßnahmen
1. Ein interdisziplinäres Naviteam als Multiplikator nutzen
Ein freiwilliges Team von Kolleg:innen, das in kurzen Zyklen nach Scrum vorgeht: Die HEC hat das gesundheitsorientierte Entwicklungsprojekt genauso aufgebaut, wie die Mitarbeitenden sonst auch arbeiten. Mit dabei waren Kolleg:innen aus allen Bereichen und Rollen – aus dem Teamcenter und der Softwareentwicklung, aus dem Test und aus dem Anforderungsmanagement, Teamleitungen ebenso wie Scrum Master. Ideen wurden im hauseigenen Ticketing-System festgehalten und in Sechs-Wochen-Sprints abgearbeitet. Die Ideen und der Status der Umsetzung war für alle Mitarbeitenden jederzeit über das System einsehbar. Gut strukturiert fanden alle Teilnehmenden diese Arbeitsweise, die außerdem Einblick in andere Arbeitsbereiche bot.
2. Auslastung mit dem Lego-Board planen
Lego sorgt bei so ziemlich jedem Menschen für Begeisterung. Anschaulich macht es aber auch die Kapazitätsplanung. Teams der HEC haben ihre Kundenprojekte mit verschiedenen farbigen Legosteinen an Boards an der Wand markiert. Besonders profitierten davon Multiprojektteams, die mehrere Kundenprojekte gleichzeitig bearbeiten. So wird transparent, welcher Mitarbeitende wie stark ausgelastet ist und wieviel Arbeit noch in der Pipeline schlummert. Das sorgt für mehr Verlässlichkeit.
3. Fokus auf Gesundheit mit der Gesundheitsretro
Teams, die mit Scrum arbeiten, kennen die Retrospektive. Als „Gesundheitsretro“ bietet sie die Möglichkeit, die Reflexion nach einem Sprint auf die Gesundheit des Teams zu fokussieren. Die Teilnehmenden sammeln mit passenden Fragen („Welches Filmgenre passt heute zu deiner Stimmung?“ o.ä.) Erkenntnisse. Daraus werden gesundheitsorientierte Maßnahmen für das Team abgeleitet. Die Agenda einer Gesundheitsretro folgt den Kriterien einer psychischen Gefährdungsbeurteilung, so dass die rechtlichen Anforderungen hierzu erfüllt sind.
4. Arbeitsplatz der Zukunft: Hybride Arbeitsmodelle entwickeln
Mitten in die flexigesa-Projektzeit platzte die Corona-Pandemie. Nicht nur während dieser Zeit, sondern auch in Zukunft wird in der HEC verstärkt hybrid gearbeitet. Das stellt neue Herausforderungen an die Gestaltung der Arbeitsplätze. Verschiedene Projektteams haben Modelle für die physische und virtuelle Zusammenarbeit entwickelt. Zu bedenken gab es die flexible Arbeitsplatzbuchung, Anforderungen an Akustik und Lichtverhältnisse, Maßnahmen für das Teamgefühl beim hybriden Arbeiten und vieles mehr.
Die Erfolgsfaktoren für teamgesteuertes Gesundheitsmanagement
- Als erfolgreich erwies sich, die gesundheitsförderlichen Maßnahmen in bestehende Prozesse zu integrieren. Das sorgt für eine größere Akzeptanz. Gerade IT-Unternehmen, die mit Scrum arbeiten, gelingt das gut.
- Eine agile Grundhaltung ist ebenfalls hilfreich. Hierbei geht es nicht um Methoden, sondern um eine Vertrauenskultur, in der die Bereitschaft zum ehrlichen Aushandeln besteht.
- Gut ist, wenn Projektgruppen sowohl mit Mitarbeitenden, als auch mit Entscheider:innen besetzt sind. So lässt sich schnell über ein Vorgehen bei den Maßnahmen einigen.
- Wichtig ist es, dass Zeitkontingente für die Entwicklung von Maßnahmen zur Verfügung stehen. Außerdem: Ein Ticket-System hilft bei der Nachverfolgung der Aufgaben und gibt auch Interessierten einen Überblick über den Fortschritt der Umsetzungen.
Herausforderungen beim selbsorganisierten Gesundheitsmanagement
Konkrete Maßnahmen für gesundheitsförderliches Arbeiten bieten sich gerade im agilen IT-Kontext an. Damit das zum Erfolg wird, sollten Unternehmen auf einige Punkte achten:
- Kommunikationskonzept: Wichtig ist eine regelmäßige und transparente Kommunikation. Alle Mitarbeitenden sollten die Ansprechpersonen kennen und ebenso die Ziele, den Zeitplan, die Maßnahmen und die Vorgehensweise.
- Erfolge zeigen: Insbesondere erfolgreiche Maßnahmen, die längerfristig etabliert werden können, sollten im Unternehmen vorgestellt werden.
- Gesundheitsorientierte Sensibilisierung und Qualifizierung: Die hohen Anforderungen an IT-Entwicklungsteams erfordern auch von Scrum Mastern oder agilen Coaches entsprechende Kompetenzen. Sorgen Sie für die notwendigen Qualifizierungen.
- Verfügbarkeit von Ressourcen: Selbstorganisiertes Gesundheitsmanagement braucht personelle, zeitliche und finanzielle Ressourcen. Es kann nicht „on top“ zum Alltagsgeschäft geleistet werden.
- Kontinuität: Damit die neuen Arbeitsweisen langfristig tragen, sollte das Gesundheitsmanagement verstetigt werden. Gut ist ein „lernendes Verfahren“, bei dem sich auch das Gesundheitsteam hin und wieder einer Retro unterzieht.
Flexibel. Gesund. Arbeiten: Über das flexigesa-Projekt
Das Verbundprojekt "Flexible Dienstleistungsarbeit gesundheitsförderlich gestalten" (flexigesa) will dazu beitragen, gesündere Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten zu schaffen. Insbesondere soll die psychische Gesundheit in Dienstleistungsunternehmen – am Beispiel von Unternehmen der IT-Entwicklung und der ambulanten Dienste – gefördert werden.
Flexigesa praktiziert die enge Zusammenarbeit zwischen Forschungseinrichtungen, Unternehmen und Transferinstitutionen in der Metropolregion Nordwest. Dazu gehören die Universität Bremen mit den Forschungseinrichtungen Institut Arbeit und Wirtschaft (iaw) als Projektkoordinatorin und mit arbeitswissenschaftlichem Schwerpunkt sowie SOCIUM mit arbeitsmedizinischer Expertise, Jade Hochschule (Oldenburg) mit Fokus auf Public Health, Gesundheitswirtschaft Nordwest e.V. als regionaler Transferpartner, HEC GmbH für die Teilbranche IT-Dienstleistungen und die vacances mobiler Sozial und Pflegedienst GmbH für die Teilbranche ambulante Dienste.
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Handlungsleitfaden für IT-Dienstleister
Wie gelingt gesundheitsförderliches Arbeiten in der IT-Wirtschaft? Der Leitfaden des flexigesa-Projektes erläutert Schritt für Schritt worum es geht und wie sich ein teamorientiertes Gesundheitsmanagement entwickeln lässt.