Bunte Fraktale einer Videoprojektion

Neues aus der HEC

Wie entsteht Leben? Förderung für Studienprojekt der HfK Bremen

25. Oktober 2023 / Annekathrin Gut

HfK-Student Tim Redlich erforscht mit "Recursive Emergence" die Entstehung von Leben

Wie entsteht Leben aus unbelebter Materie? Tim Redlich experimentiert mit einer Kamera, mehreren Videoprojektoren und Mikrocontrollern, um das herauszufinden. Eine leere Wand wird gefilmt, das Bild verarbeitet, projiziert, wieder aufgenommen und erneut ausgestrahlt. So entstehen in Endlosschleife bunte, sich bewegende Fraktale. Die grafischen Gestalten, die sich im Detail selbst ähneln, wirken wie Farnblätter, Galaxienarme, Mikroben oder Kristalle.

Tim Redlich ist Student an der Hochschule für Künste Bremen und hat jetzt seine Bachelorarbeit in die Praxis umgesetzt. Die HEC unterstützte das Projekt aus dem Studienfach Digitale Medien im Rahmen einer jährlichen Studienförderung mit Projektmitteln. Ende Oktober ist die Videoarbeit auch in der HEC zu sehen.

Bunte Fraktale einer Videoprojektion

Zum Nachdenken über Ökosysteme anregen

Die Arbeit fragt danach, wie sich Ökosysteme selbst regulieren, um ihre Lebensbedingungen aufrecht zu erhalten. Übertragen auf die digitale Welt lotet Tim Redlich Fragen aus wie: Wie schafft das Internet selbstreferentielle Informationsblasen? Könnte Software einer gespaltenen Gesellschaft entgegenwirken?

Dafür hat er sich von ökologischen, biologischen und sozialen Systemen anregen lassen: Sie alle arbeiten mit Rückkopplungsschleifen. Sie lassen Strukturen scheinbar aus dem Nichts entstehen und sich stabilisieren, einfach weil sie existieren.

Tim Redlichs fraktale Strukturen erinnern stark an computergenerierte Bilder, entstehen aber tatsächlich direkt vor Ort. Bewegliche Projektoren, die sich schwenken, kippen und rotieren können, sorgen für Bewegung und Veränderung. Die Rückkopplungsschleife benötigt nur etwas Umgebungslicht, um den Vorgang zu starten. Sobald die fraktale Struktur da ist, hält sie sich auf scheinbar paradoxe Weise selbst intakt.

Interview

Tim, was hat dich an diesem Projekt gereizt?

Tim Redlich: Ich arbeite gerne mit meiner Kamera und habe diese schon häufig in Projekte eingebunden. Durch Experimente mit Video-Feedbackschleifen bin ich auf dieses emergente Phänomen gestoßen und wollte es weiter untersuchen.

Bunte Fraktale einer Videoprojektion

Wie sehr ist deine Arbeit eher künstlerisch, experimentell oder gesellschaftlich gedacht?

Tim: Ich würde sagen, sie entstand eher experimentell. Aber durch die Untersuchung dieser Eigenschaften traten für mich einige interessante Ideen hervor. Es brachte mich zum Nachdenken über Konzepte wie Abiogenese, Selbstreplikation, die Entstehung von Bewusstsein, rekursive Muster in sozialen Dynamiken, sich selbst replizierende Computerprogramme, klimatische Feedbackschleifen, selbstreferentielle Paradoxien und den Ursprung von Schönheit.

Dies sind nur einige der Gedanken, die mir dazu kamen. Ich glaube, dass andere Personen womöglich ganz andere Einsichten haben. Ich wollte mich bei diesem Projekt nicht auf ein einzelnes Konzept oder eine einzelne Idee konzentrieren und vielmehr Raum für die Interpretation jedes Einzelnen lassen, der die entstehenden Strukturen selbst beobachtet und mit ihnen interagiert.

Welche Antwort gibst du auf deine Frage, ob Software dazu beitragen kann, einer gespaltenen Gesellschaft entgegenzuwirken?

Tim: Viele Online-Plattformen haben ihre Algorithmen optimiert, um möglichst viel unserer Aufmerksamkeit zu erlangen und uns regelrecht abhängig zu machen. Diese Algorithmen analysieren und lernen aus unserem Verhalten, um uns Inhalte zu präsentieren, die unseren Vorlieben entsprechen. Eine Folge davon ist, dass viele Nutzer in einer Art "Echo-Kammer" oder Informationsblase enden. Eine Rückkopplungsschleife, in der sie nur noch mit Meinungen und Informationen konfrontiert werden, die ihre eigenen Ansichten widerspiegeln.

Ein Ansatz könnte sein, Software so zu gestalten, dass sie diesen Tendenzen entgegenarbeitet und Nutzer mit vielfältigeren Perspektiven konfrontiert. Jedoch birgt das auch Risiken: Nutzer könnten sich von Plattformen abwenden, die sie mit konträren Meinungen konfrontieren. Zusätzlich besteht die Herausforderung, eine Balance zu finden und dabei Desinformation, mediale Verzerrungen und falsche Gleichgewichtungen zu vermeiden. Es ist ein komplexes Problem, für das ich keine genaue Lösung kenne.

Eine Kamera und ein Projektor erzeugen eine Videoprojektion an einer Wand

Was war deine größte Herausforderung bei dem Projekt?

Tim: Eine große Herausforderung war es, mich auf ein Design festzulegen, welches ich dann passend zu erhältlichen Teilen in 3D modelliert habe. Mit der fertigen digitalen Vorlage konnte ich mich dann an diesen selbst gesetzten Einschränkungen orientieren und an Details arbeiten.

Besonders froh bin ich, dass es mir gelungen ist, die gesamte Elektronik in dem relativ kleinen Kasten rund um den HDMI-Splitter unterzubringen. Darin habe ich viel Zeit investiert.

…und deine größte Freude?

Tim: Das Experimentieren hat auf jeden Fall viel Spaß gemacht. Es entstanden immer wieder neue fraktale Strukturen, die ich auf vielfältige Weise manipulierte. Und auch zu sehen, was andere in den entstehenden Mustern erkennen und wie sie diese interpretieren, war sehr interessant.

Welcher Aspekt ist dir noch wichtig?

Tim: Das Experimentieren mit Feedback-Schleifen hat mich dazu gebracht, darüber nachzudenken, wie wir denken, uns unserer Existenz bewusst werden und wie sich ein „Selbst“ bildet. Angesichts des Aufkommens immer komplexerer und leistungsfähigerer künstlicher Intelligenz in den letzten Jahren frage ich mich, wie wir jemals feststellen können, ob solche Systeme ein Bewusstsein besitzen oder einfach nur so handeln, als ob sie eines hätten.

Ich bin durch dieses Projekt auf den Kognitionswissenschaftler Douglas Hofstadter und sein Buch “I Am a Strange Loop” gestoßen, in dem er über die Entstehung von Bewusstsein spricht. Hofstadter glaubt, dass wir nicht mit einem psychologischen Selbst geboren werden, sondern dass dieses allmählich entsteht. Unser “Ich” bestätigt seine eigene Realität in einer rekursiven Schleife durch jede Interaktion mit der realen Welt. Es ist ein emergentes Phänomen, das sich durch all die Dinge, die uns im Laufe unseres Lebens geprägt haben, entsteht.

Besonders sein Kapitel über die Verflechtungen mehrerer “seltsamer Schleifen” hat mich sehr an die sich überlappenden Rückkopplungsschleifen in meinem Projekt erinnert. Wir können die Welt durch die Kopien “seltsamer Schleifen” Anderer in unserem Kopf erleben. Und durch Interaktionen mit Anderen formen wir unsere eigene.

Video: HfK Bremen / Sue Wendlandt

Kooperation von HfK Bremen und HEC

"Studierende in ihren Kompetenzen unterstützen"

Mit der Förderung von Projekten wie dem von Tim Redlich möchte die HEC sowohl die eigenen Mitarbeitenden als auch die Kund:innen inspirieren. Seit 2013 gibt es die Kooperation mit der HfK Bremen. Inzwischen wurden 12 Bachelor-, Master- und Semesterarbeiten von Studierenden aus dem Studiengang Digitale Medien mit Projektmitteln gefördert, die diese sonst nicht umsetzen könnten. Einige der Geförderten sind über die entstandenen Kontakte sogar bei der HEC oder in einer anderen team neusta-Company ins Arbeitsleben eingestiegen.

„Die dynamischen Veränderungen der Märkte und immer neue technologische Machbarkeiten, mit denen wir in unserer Branche zu tun haben, bedeuten zugleich die Abkehr von bewährten Lösungsmustern. Wir als Team müssen dafür auch mehr out of the box denken“, sagt HEC-Geschäftsführer Dr. Thorsten Haase. „Wir nutzen gerne die Impulse, die uns die Studierenden im Bereich Digitale Medien der HfK Bremen geben. Zugleich freuen wir uns, wenn wir sie bei ihren Projekten und in ihren Kompetenzen unterstützen können.“

Foto von einem Mann

Tim Redlich

wurde 1995 geboren. Seit Oktober 2018 studiert er Digitale Medien an der Hochschule für Künste Bremen.

Bunte Fraktale einer Videoprojektion

Mehr über das Projekt

Weitere Eindrü­cke der Arbeit vermit­teln ein Video von Tim Redlich sowie die Projektwebsite.