Containerschiff auf dem Meer

Logistik / Trends und Technologien

Neues Leben für alte Software: Die Modernisierung von iShips

16. September 2024 / Annekathrin Gut

Einblicke in die Herausforderungen und Lösungsstrategien der Harren Group

Wie gut lässt sich eine hochspezialisierte, aber seit zehn Jahren nicht modernisierte Software auf eine international tätige Firmengruppe übertragen? Vor dieser herausfordernden Frage stehen Jürgen Summa, Global Head of IT-Solutions, und sein Team bei der Harren Group. Die Unternehmensgruppe mit Hauptsitz in Bremen kommt aus dem Bereich Ship Management und hat sich bis heute zu einem umfassenden Logistik-Dienstleister entwickelt. Seit 2023 gehört die Reederei Intermarine in Houston (USA) vollständig zur Harren Group – und mit ihr auch eine eigene Software für das Liner und Semi-Liner Business.

Herausforderung: Weiterentwicklung alter Software

„Unser Inhaber hat gefragt, ob wir diese Software weiterentwickeln können, um sie weitreichend in unseren Reederei Business Units s einsetzen zu können“, erzählt Jürgen Summa. Grundsätzlich eine gute Idee: Die Eigenentwicklung iShips – so heißt die Lösung von Intermarine – deckt zu 70 bis 80 Prozent die Kernfunktionalitäten der Reedereisparte der Harren Group ab.

Die Unternehmensgruppe hat sich zum großen Teil auf den Seetransport spezialisiert. In diesem Bereich gibt es weltweit aber nur ein knappes Dutzend Firmen. „Für diesen überschaubaren Markt kann niemand eine maßgeschneiderte Software zu wirtschaftlichen Preisen entwickeln. So blieb bisher der Ansatz, mit einer möglichst passenden Software wesentliche Teilziele zu erreichen und sich für die verbleibenden notwendigen Anforderungen mit stabilen Workarounds zu behelfen.

Allerdings ist iShips seit ungefähr zehn Jahren nur gewartet und nicht modernisiert worden, gibt der IT-Experte zu bedenken: „Da liegt einiges an Arbeit vor uns. Die nicht mehr zeitgemäße Oberfläche muss verbessert und die Prozesse für unser Geschäftsfeld Heavy Lift Business erweitert werden.“

Jürgen Summa

Start mit Machbarkeitsstudie

Um besser einschätzen zu können, ob sich der Invest in eine Modernisierung von iShips überhaupt lohnt, setzt Jürgen Summa auf eine Machbarkeitsstudie: „Wir haben uns nach einem Partner umgeschaut und sind über Empfehlungen bei HEC gelandet.“

Die HEC hat das System auf seine Eignung und Zukunftsfähigkeit hinsichtlich der Softwarearchitektur, der eingesetzten Technologien und der Programmierung untersucht. Das Ergebnis: Die Software ist grundsätzlich für eine Weiterentwicklung geeignet, muss aber zuvor in einigen Teilen technisch modernisiert und funktional erweitert werden.

Risiko durch eine Pilotphase splitten

Um das Projekt auf sichere Beine zu stellen und das Risiko für eine Fehlinvestition zu reduzieren, hat sich die Harren Group für eine Pilotphase entschieden. „Wir haben uns überlegt, dass wir zwei Sachen machen,“ erläutert Jürgen Summa. „Wir starten mit der Modernisierung der Technologie und der Oberfläche für die bereits bestehende Lösung, um schnell Nutzen generieren zu können. Parallel starten wir ein Pilotprojekt für den Heavy Lift-Bereich, um durch die Erstellung von Funktionalitäten unterschiedlicher Komplexitätsstufen weitere Erfahrungen in dem neuen Umfeld zu sammeln und eine bessere Schätzbarkeit des Aufwands für das Gesamtprojekt zu ermöglichen.“

Update: Neue Gestaltung der Oberfläche für die bestehende Liner Lösung

Da das in iShips verwendete Frontend-Framework veraltet ist, wird zunächst mit der technischen Modernisierung der Oberfläche begonnen. Dabei wird nicht nur ein technisches Update vorgenommen. Auch die Usability wird verbessert, um die Arbeitsabläufe und Aufgaben der Nutzerinnen und Nutzer noch besser durch die Software zu unterstützen.

„Wir ändern die ganze Technologie darunter. Davon sieht der Anwender erstmal nichts. Jetzt sind wir so weit, dass wir das UX-Design für die ersten Fenster der Oberfläche haben,“ berichtet Jürgen Summa. „Die Leute sind immer äußerst begeistert, wenn sie einen Entwurf sehen, weil sie dann merken, dass da was passiert.“ Vertreter:innen jeder Fachabteilung können übrigens im Rahmen der agilen Softwareentwicklung regelmäßig ihre Anforderungen einbringen.

Grundlage für Entwicklungsarbeiten

Als Grundlage für alle Entwicklungsarbeiten wird ein Produkt-Backlog mit den abzuarbeitenden Stories erstellt. Parallel dazu werden die ersten Workshops zur fachlichen Erweiterung des Systems durchgeführt. Die Ergebnisse fließen ebenfalls in das Product-Backlog ein. Auf dieser Basis wird nun das System fortlaufend in Sprints technisch modernisiert und funktional erweitert.

„Wir bauen ein Framework und eine Sandbox auf. Wir müssen Bibliotheken austauschen und das Framework ersetzen. Für jemanden wie mich, der gewohnt ist, dass man erstmal Grundlagenarbeiten macht, ist es zwar schade, dass aktuell noch kein Modul so richtig fertig ist. Aber man merkt jetzt, dass es was wird“, sagt Jürgen Summa.

Über die Harren Group

Die Harren Group ist eine deutsche Reederei- und Logistikgruppe mit Sitz in Bremen. Jürgen Summa ist dort seit drei Jahren als Global Head of IT Solutions tätig. Kerngeschäft des Unternehmens ist die Verschiffung von Schwergut- und Mehrzweck-Ladung, sowie Projektlogistik und das Ship Management eigener als auch fremder Tonnage. Weitere Geschäftsfelder sind die Segmente Tanker, Bulker, Engineering-Dienstleistungen, sowie Offshore Services. Derzeit zählt die Harren-Flotte rund 60 Einheiten, bestehend aus Schwergutschiffen, Bulkern, Tankern, Dockschiffen, Container-Feedern und Offshore-Schiffen.

Zusammenarbeit über den Atlantik hinweg

An der Umsetzung arbeitet ein integriertes Scrum-Team aus Mitarbeitenden von Intermarine in Houston, SAL in Hamburg und der HEC in Bremen. Es besteht aus Anforderungsmanagement, Softwareentwicklung, Qualitätssicherung sowie einem Scrum-Master für die Einhaltung der agilen Prinzipien. Dabei war anfangs gar nicht klar, wie gut dieses neue Team funktioniert.

„Wir mussten die Kollegen aus den USA in das Projekt integrieren. Bis zu dem Zeitpunkt hatten diese selbstständig und alleinverantwortlich die aktuelle iShips-Lösung gepflegt und sollten nun Teil eines großen Entwicklungsteams werden. Bei HEC haben wir das einfach unterstellt, weil die das ja bereits in anderen Projekten bewiesen haben,“ sagt Jürgen Summa. Die amerikanischen Kolleg:innen erlebten bereits die zweite Übernahme und hatten gerechtfertigte Vorbehalte. „Sie haben unter schwierigsten wirtschaftlichen Bedingungen diese Software am Laufen gehalten und sie sind stolz darauf. Und nun kommt wieder eine Firmengruppe aus Europa und möchte Einfluss nehmen. Wir wollten schon auf alle Fälle das Gefühl vermeiden, dass wir ihnen etwas wegnehmen und ihnen die entsprechende Wertschätzung entgegenbringen.“

Zum ausschlaggebenden Faktor wird der persönliche Kontakt. Jürgen Summa und Heiko Müller, Experte für IT-Logistik in der HEC, fahren im März gemeinsam für eine Woche nach Houston: „Man hat sofort festgestellt, dass man die gleichen Vorstellungen hat, wie die Prozesse laufen sollen. Diese menschliche Komponente, die war die erste Hürde, die wir nehmen mussten.“

Meilensteine und Aussichten

Bis Ende Oktober läuft die Pilotphase. Dann soll neben der Aufwandsprognose ein MVP – ein minimal brauchbares Produkt – benannt werden können. „Wir benötigen ein stabiles Produkt, mit welchem wir an den Start gehen können. Das sind unsere Minimum Requirements. Ergänzend möchten wir einen nachhaltigen Weg finden, das Produkt weiterzuentwickeln, um die User-Akzeptanz zu erhöhen, Arbeitsprozesse zu vereinfachen und um zu gewährleisten, dass wir mit der gleichen Anzahl von Mitarbeitern mehr Schiffe abwickeln können.“

Noch nutzt die Harren Group ihr bisheriges Voyage Management System, das hohe Lizenzkosten verursacht. Auch das wäre ein Grund, um möglichst schnell iShips weiterzuentwickeln und für die ganze Gruppe auszurollen. Ob das klappt? „Ich bin da absolut optimistisch“, sagt IT-Leiter Jürgen Summa.