Containerschiff im Hamburger Hafen.

Trends und Technologien

FMS: Jederzeit alle Warenströme im Blick

12. Oktober 2020 / Annekathrin Gut

 

Spedi­ti­o­nen sind der Inbe­griff von Logis­tik. Wenn es darum geht, Waren vom Produ­zen­ten zum Abneh­mer zu beför­dern, mana­gen Frei­ght forwar­der wie Fr. Meyer's Sohn (FMS) aus Hamburg das diffizile Netzwerk von Transporteuren, Routen und Dokumenten. Es liegt auf der Hand, dass eine gut durchdachte, individuell entwickelte Digital-Plattform in diesem hochspezialisierten Geschäft einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil darstellt. Doch das ist längst nicht alles.

Olaf Rath­geb arbei­tet seit 2009 für FMS. Seit 2012 sorgt er als CIO und CTO für inno­va­tive Impulse bei dem globa­len Spedi­ti­ons­un­ter­neh­men für Seefracht, Luft­fracht und Land­ver­kehr.

FMS ist spezi­a­li­siert auf die Markt­seg­mente Forst, Agra­r­pro­dukte und Lebens­mit­tel, Konsum­pro­dukte, Maschi­nen­bau, Metalle, Mine­ra­lien und Chemie sowie Recy­cling. Für seine Kunden erar­bei­tet der Dienst­leis­ter umfas­sende Zusatz­leis­tun­gen, zum Beispiel Supply Chain Manage­ment, Bera­tung für Prozes­s­op­ti­mie­rung oder eine eigene Cloud-Lösung.

 

Im Inter­view erzählt Olaf Rath­geb, wie er die digi­tale Trans­for­ma­tion des Tradi­ti­ons­un­ter­neh­men voran­treibt und warum ein stra­te­gi­scher Part­ner bei der Soft­wa­re­ent­wick­lung notwen­dig ist.

Bild eines Frachters von oben, welcher Container transportiert.
Kaum ein Unter­neh­men ist vom Lock­down durch die Corona-Pande­mie verschont geblie­ben. Wie konn­ten Sie Ihren Kunden in dieser Situa­tion helfen?

Olaf Rath­geb: Zunächst einmal konn­ten wir als FMS unse­ren Kunden in dieser für sie sehr schwie­ri­­gen Zeit hilf­reich zur Seite stehen und in vielen Fällen gute und trag­­fä­hige Lösun­­gen für die entstan­­de­­nen Probleme finden. Unsere tech­no­lo­­gi­­sche Leis­tung ist es, für Trans­pa­renz über die Waren­­ströme und deren aktu­el­len Status zu sorgen. Der Kunde sowie der Custo­­mer Service Mita­r­­bei­ter auf FMS-Seite kann mit Hilfe unse­res Supply Chain-Mana­­ge­­ment-Systems „Cruise Control“ auf einen Blick sehen, ob Waren weiter­trans­­por­tiert werden oder ob sie gerade in einem Hafen stehen blei­­ben.

Das erlaubte eine effi­­zi­ente Inter­ak­tion mit den Kunden und schnelle Lösun­­gen, als es während der Corona-Krise darum ging, welche Alter­na­ti­­ven man anbie­ten kann. Wenn die Contai­­ner nicht stan­dard­mä­­ßig trans­­por­tiert werden konn­ten, musste man teil­­weise neue Trans­­por­t­­wege und/oder Trans­­por­t­­füh­­rer finden. Einige drin­­gend benö­tigte Waren, die für den Seetrans­­port gedacht waren, muss­ten per Luft­fracht trans­­por­tiert werden, was natür­­lich kost­­spie­­li­­ger ist.

Wie funktioniert das "Cruise Control"-System?

Wenn es einen konkre­ten Trans­port­auf­trag gibt, dann stel­len wir alle benö­tig­ten Daten, die diesen Trans­port betref­fen, und die in unse­rem Trans­port­ma­na­ge­ment-System erfasst werden, auf einer webba­sie­ren Platt­form zur Verfü­gung. Das sind zum Beispiel Trans­ak­ti­ons­da­ten wie Contai­ner, Ladung, Herkunft, Refe­ren­zen und so weiter, sowie alle dazu­ge­hö­ri­gen Doku­mente. Aber auch alle Infor­ma­ti­o­nen über die Abfer­ti­gung und die aktu­elle Loca­tion der Ware werden erfasst.

Vor gut zehn Jahren haben Sie mit der Entwick­lung einer neuen Infra­s­truk­tur begon­nen. Wie war damals die Ausgangs­si­tua­tion?

Die Situa­tion, die uns wahr­schein­lich mit vielen mittel­stän­di­schen Spedi­ti­o­nen eint, war, dass wir zuvor über Jahre hinweg histo­risch gewach­sen sind. Wir hatten keine einheit­li­chen Prozesse und auch keine darun­ter­lie­gen­den einheit­li­chen Systeme. Meine Aufgabe war es, diese Insel­lö­sun­gen durch eine global genutzte Platt­form zu erset­zen.

Ein Kern­be­stand­teil ist das globale Trans­port-Manage­ment-System „Sea­step“, das wir seit 2009 zusam­men mit der HEC entwi­ckelt und 2013 final ausge­rollt haben. Seit dieser Zeit ist es im Wartungs­mo­dus. Das heißt, es kommen stetig Erwei­te­run­gen hinzu. Letz­tes Jahr haben wir zum Beispiel Luft­fracht als neuen Trans­port­weg inte­griert. Und es sind noch sehr viele Wünsche in der Pipe­line.

Standard ist nicht die Lösung. Denn das geht wieder mit standardi­sierten Prozessen einher. Und die passen nicht zu individuellen Service­paketen.

Olaf Rathgeb, FMS

Warum kommt für FMS keine Standardlösung in Frage?

Als Service­pro­vi­der leben wir sozu­sa­gen davon, dass wir besser und einfa­cher sind als die Reeder – sonst bräuchte man uns nicht. Und dass wir besser und effi­zi­en­ter sind als die interne Logis­ti­k­ab­tei­lung eines Kunden – sonst würde der es selber machen. Es ist uns als Dienst­leis­ter quasi in die Wiege gelegt, dass wir unse­ren Kunden möglichst indi­vi­du­elle Logis­ti­k­lö­sun­gen bereit­stel­len, und das zu güns­ti­gen Kosten.

Ich habe über­legt, was man dazu braucht, und bin zu dem Schluss gekom­men: Eine Stan­dard­lö­sung ist für uns nicht die Lösung. Denn das geht wieder mit stan­dar­di­sier­ten Prozes­sen einher. Und die passen nicht zu indi­vi­du­el­len Service­pa­ke­ten. Deswe­gen haben wir sehr früh, lange vor der Digi­ta­li­sie­rungs­welle, ange­fan­gen, digi­tale Kompe­ten­zen aufzu­bauen.

Das haben Sie gemein­sam mit dem Entwick­lungs­team der HEC gemacht. Was sind die Vorraus­set­zun­gen für eine gute Zusam­me­n­a­r­beit?

Das setzt eine lang­jäh­rige Zusam­me­n­a­r­beit voraus, weil man das Know-how nicht einfach mal eben aufbauen kann. Auf beiden Seiten nicht: weder auf Anwen­der­seite das tech­ni­sche Know-how, noch auf der Entwick­ler­seite das Know-how über unsere jahre­lang gewach­se­nen Prozesse. Deshalb haben wir von Anfang an einen stra­te­gi­schen Part­ner gesucht. Man braucht für solch eine Zusam­me­n­a­r­beit sehr viel Vertrauen. Man muss wissen, dass der Part­ner einen versteht und in die glei­che Rich­tung marschiert.

Ganz konkret muss sich der Entwick­lungs­dienst­leis­ter in so einer Part­ner­schaft sehr stark auf das Unter­neh­men der Anwen­der einstel­len. So wie wir das auf der Logis­tik-Seite ja auch bei unse­ren eige­nen Kunden machen: Wie tickt der Kunde und wie können wir unsere Prozesse so anpas­sen, dass wir uns sauber in dessen Orga­ni­sa­tion inte­grie­ren? Oder wo müssen wir viel­leicht auch eine neue gemein­same Ablau­f­or­ga­ni­sa­tion aufbauen?

Dazu haben Sie agile Methoden ins Spiel gebracht…

Genau. Ich hatte mich vor meiner Zeit bei FMS als selbst­stän­di­ger Bera­ter auf Turna­round-Manage­ment von Projek­ten spezi­a­li­siert und rela­tiv früh Kontakt mit agilen Metho­den gehabt. Ich habe gese­hen, dass ein Frame­work wie Scrum super ist, um große Komple­xi­tä­ten zu mana­gen. Weil wir bei der Entwick­lung eines neuen Trans­port-Manage­ment-Systems (TMS) eine hohe Komple­xi­tät sowohl auf Seiten des Anbie­ters als auch des Kunden hatten, war mir klar, dass wir so etwas brauch­ten.

Das Thema eines neuen TMS geis­terte bestimmt schon seit zehn Jahren in den Köpfen der Firma herum, bevor wir 2009 damit ange­fan­gen haben. Es gab immer wieder die Forde­rung nach einem Stan­dard­sys­tem, weil dieses vermeint­lich das Projekt­vor­ge­hen mit dem gerin­ge­ren Risiko darstellte. Letzt­lich habe ich bei der Entschei­dung für ein indi­vi­du­al­ent­wi­ckel­tes System mitge­wirkt, weil ich gesagt habe, dass wir mit den agilen Prozes­sen im Driving Seat sind und somit genau das System umset­zen können, das wir für die erfolg­rei­che Weiter­ent­wick­lung benö­ti­gen. Zusätz­lich sehen wir auf diese Weise jeder­zeit, ob wir wirk­lich auf dem rich­ti­gen Weg sind.

Mit der HEC haben wir einen Part­ner gefun­den, der bereit war, sich sehr weit auf unsere Prozesse einzu­las­sen. Das TMS ist bis heute ein sehr großes Erfolgs­pro­jekt, sowohl was das Produk­t­er­geb­nis angeht, als auch dass wir weit­ge­hend im Zeit- und Budge­t­rah­men geblie­ben sind.

Was sind Themen, die jetzt auf Sie zukommen?

Die größ­ten Heraus­for­de­run­gen, die mich momen­tan umtrei­ben, sind zwei Themen. Das eine ist der fort­s­chrei­tende Druck, Prozesse zu digi­ta­li­sie­ren und zu auto­ma­ti­sie­ren. Der zweite Aspekt, wobei sich das gar nicht so ganz klar abgren­zen lässt, ist: Wie verän­dert sich unser Geschäfts­mo­dell im Hinblick auf die fort­s­chrei­tende Digi­ta­li­sie­rung. Welche Aspekte werden in unse­rem Geschäfts­mo­dell wich­ti­ger? Welche verlie­ren an Bedeu­tung?

Kann ein 120 Jahre altes Traditionsunternehmen wie FMS dabei von Start-ups lernen?

Ja, defi­ni­tiv. Was man von Start-ups lernen kann, ist diese gesunde Naivi­tät und deren Enthu­si­as­mus, Gege­be­nes nicht einfach so hinzu­neh­men, sondern zu sagen: Das kann man besser machen. Da entsteht ein Momen­tum, das auch gestan­de­nen Unter­neh­men hilft, sich weiter­zu­ent­wi­ckeln. Im konkre­ten Fall kann man auch nutz­bare Produkte eines Start-ups inte­grie­ren und über­le­gen, wie man gemein­sam besser wird.

Wie machen Sie das konkret?

Wir machen das an verschie­de­nen Stel­len. Zum Beispiel durch unsere Rolle bei der Initia­tive Inno­Pitch, die von einem Start-up während der Corona-Krise initi­iert wurde. Dann waren wir Grün­dungs­ge­sell­schaf­ter vom Next Logi­stics Acce­le­ra­tor hier in Hamburg, zusam­men mit einer Reihe namhaf­ter Firmen. Und last but not least haben wir auch Kontakt zu einzel­nen Start-ups. Wir gucken, wo deren inno­va­ti­ves Geschäfts­mo­dell für uns nütz­lich sein kann und umge­kehrt, wo wir unsere opera­ti­ven Produkte in diese neue Welt inte­grie­ren können.

 
Vielen Dank, Herr Rath­geb, für das Gespräch und weiter­hin viel Erfolg!