Logistik / Trends und Technologien
Digitalisierung der Hafenlogistik
25. November 2022 / Annekathrin Gut
Wie ein Hamburger Hafen smart wird
Im Hamburger Hansahafen rollt es aus allen Richtungen: In einem Multipurpose-Terminal werden moderne RoRo- und ConRo-Schiffe abgefertigt, Container, PKW und LKW verladen, Projektladung und Forstprodukte umgeschlagen sowie zahlreiche Serviceleistungen rund um die Verpackung und Lagerung angeboten. Die Lagerei- und Speditionsgesellschaft im Stadtteil Kleiner Grasbrook ist das größte Terminal für rollende Verladungen im Hamburger Hafen.
Multifunktionale Terminals stehen unter besonderem Druck: Sie müssen Schiffe mit unterschiedlicher Fracht auf begrenztem Raum effizient be- und entladen. Bei dieser Kaianlage kommt noch hinzu: Mit der Erweiterung der Hafencity wird die Fläche des Terminals um circa 20 Prozent verkleinert werden. Denn hier entsteht ein ganz neuer Stadtteil mit Wohnungen, Büros und Parks sowie weitere urbane Infrastruktur. Dieselben oder sogar steigende Umschlagsvorgänge auf verkleinerter Fläche – das erfordert eine ausgeprägte Optimierung aller Prozesse.
Helfen sollen dabei die Digitalisierung und Automatisierung der Hafenlogistik. Der Terminalbetreiber hat diverse Vorhaben gestartet, um sich zum Smart Port weiterzuentwickeln. Eines davon ist die Neugestaltung des Terminal Operations System. Das von der HEC konzipierte System basiert technologisch auf einem modularen Konzept: Microservices, Self Contained Systems und vorhandene IT-Systeme bilden die Module, die jeweils eine fachliche Aufgabe oder einen Prozess digital abbilden. So entstehen quasi diverse Apps, die kombiniert mit bereits bestehenden Softwarebausteinen die operativen Prozesse auf dem Terminal leistungsstark unterstützen.
Smart Ports: Warum Häfen „intelligenter“ werden müssen
Häfen müssen sich einem veränderten Umfeld strategisch anpassen: Die Schiffe werden immer größer, der Wettbewerb verstärkt sich, die Kunden fordern eine höhere Transparenz, die Nachfrage nach integrierten Lieferketten steigt und auch die Themen Ressourceneinsatz und CO2-Verbrauch werden relevanter. Daneben entwickelt sich die Technologie rasant weiter und die globale Supply Chain wird immer digitaler. Zudem sind Häfen mit ihren vor- und nachgelagerten Transporten ein Teil des urbanen Raumes.
Häfen müssen also technologisch nachziehen und innerhalb dieser Infrastruktur zum digitalen Knotenpunkt werden. Diejenigen, die das verpassen, könnten zurückbleiben.
Intelligente Häfen, sogenannte Smart Ports, nutzen Automatisierung und innovative Technologien wie künstliche Intelligenz (KI), Big Data, Internet der Dinge (IoT) oder Blockchain. Damit können sie ihre Leistungsfähigkeit sowie die Kapazität ohne zusätzlichen Flächeneinsatz, weitere Infrastruktur oder zusätzliches Equipment bei einer zugleich verbesserten CO2 Bilanz erhöhen.
Digitale Zwillinge und andere innovative Beispiele
Allerdings gilt die Branche nicht gerade als Treiber von Innovationen und in vielen Häfen ist die Digitalisierung der Hafenlogistik eine noch weitgehend ungenutzte Ressource. Dennoch gibt es gute Beispiele.
Internationale Häfen nutzen „digitale Zwillinge“: Auf einer Datenplattform werden Ladungsströme simuliert, visualisiert und optimiert. Sie bieten den Kunden eine durchgängige Transparenz über die Reise ihrer Ladung durch die Lieferkette. Auch die Risiken einer Großinvestition in den Bau einer neuen Kaimauer lassen sich mit der Unterstützung eines digitalen Zwillings und einer prädiktiven Analyse besser abschätzen. Daneben verbessert inzwischen der neue Mobilfunkstandard 5G vielfach den Hafenbetrieb mit sicherer Konnektivität und niedrigeren Latenzzeiten.
Ganzheitliche digitale Lösung
Um die komplexen Herausforderungen des Hamburger Terminals zu lösen, müssen alle Umschlagsprozesse auf dem Hafengelände ganzheitlich betrachtet werden. Im künftigen Smart Port sollen die Anliefer- und Ausliefervorgänge in Echtzeit digital abgebildet werden, damit sie just in time geplant und gesteuert werden können. Das umfasst das Management von Ressourcen (Geräte, Fahrzeuge, Fläche, Personal) und derSchiffsankünfte sowie die Anlieferung und Abholung per LKW. Auch die anschließende Abrechnung muss integriert werden.
Heute werden bei dem Terminalbetreiber Umschlag und Lagerung noch überwiegend manuell gesteuert. So entstehen unproduktive Leerfahrten oder Querverkehre, Flächen werden nicht optimal genutzt und auf Planungsänderungen kann nicht adäquat und vor allem nicht in der notwendigen Geschwindigkeit reagiert werden. Wenn sich die Fläche künftig durch das öffentliche Bauvorhaben noch verkleinert, dann kann dieselbe Umschlagsleistung nur erbracht werden, wenn alle Prozesse über alle Umschlagsbereiche hinweg optimiert werden.
Bis Ende 2023 entsteht deshalb ein modulares Terminal Operations System, das alle operativen und planerischen Aspekte des Seehafenumschlagsbetriebes abbildet.
Dynamisches Slot-Management und KI-basierte Module
Als ersten Baustein hat das Team der HEC ein dynamisches Slot-Management fertiggestellt. Damit können die Trucker:innen per Smartphone ihr Ticket für die Einfahrt in das Terminal buchen. Da die Stellflächen vor dem Terminal begrenzt sind, sorgt die zeitoptimierte Einfahrt für weniger Staus, weniger ungenutzte Wartezeiten und einen geringeren CO2-Ausstoß. Obendrein sind sowohl die mobile Smartphone-Lösung als auch die Desktopansicht äußerst userfreundlich gestaltet. Für diese Lösung mussten diverse Parameter, wie die stark variierenden Lademittel, die zur Abfertigung benötigten Arbeitsmittel und die jeweilige Größe der Slots berücksichtigt werden.
Im nächsten Schritt werden Module für die IT-Unterstützung der operativen Umschlagsprozesse einschließlich der Disposition des dafür erforderlichen Equipments gestaltet. Eingesetzt wird dafür eine ausgefeilte Logik auf der Basis von deterministischen Algorithmen und KI. Das System soll es erlauben, Ressourcen, Manpower, Technik und Fläche so nutzen, dass jederzeit die erforderliche Umschlagskapazität bereitgestellt wird und auf unerwartete Änderungen schnell reagiert werden kann. Bei diesem Allround-Projekt werden zahlreiche Technologien eingesetzt: unter anderem eine strikte Microservice-Architektur mit einem Java- und Angular-Stack sowie kundenseitige Datenkonsolidierung über Lobster.