Methoden und Wissen

Design Thinking mit Sieglinde

08. Juni 2018 / Annekathrin Gut

Design Thinking erleben und lernen bei der HEC

Sieg­linde ist 53 und eini­ger­ma­ßen gelang­weilt von ihrem Job. Sie hat kürz­lich ihren Mann verlas­sen und wünscht sich nichts sehn­li­cher, als mehr Pep in ihrem Leben. Ein klei­nes biss­chen mehr Frei­heit. Aber eben auch Sicher­heit. Eine Vespa! Das wär’s!

Tatsäch­lich gibt es Sieg­linde gar nicht, sondern wir haben sie uns ausge­dacht. Denn dies ist ein Work­shop für Design Thin­king bei der HEC GmbH und wir müssen am heuti­gen Tag eine Challenge bestehen. Durch sieben Phasen werden wir gehen. Von Sieglinde sind wir am Vormittag noch meilenweit entfernt.

Unsere erste Heraus­for­de­rung ist reich­lich schwam­mig formu­liert:  „Wie können wir unsere Kolle­gin­nen und Kolle­gen davon über­zeu­gen, neue Arbeits­for­men zu imple­men­tie­ren?“ Welche Arbeits­for­men, fragen wir uns? Wen genau sollen wir über­zeu­gen? Und wer sind „wir“ über­haupt? Was uns einfällt, pinnen wir auf bunten Post-its an die Wand.

Nach­dem uns in dieser Phase 1 eine halbe Stunde lang der Kopf geraucht hat, erfahren wir: Das war Absicht! Wir sollten irritiert werden. Raus aus unserer Komfortzone kommen, uns in Menschen hineinversetzen und verstehen. Und uns als Team zusammenfinden. Denn wir sind fünf Workshop-Teilnehmer unterschiedlichen Alters und aus ganz verschiedenen Berufen und Unternehmen – eine ideale Zusammensetzung für einen Design Thinking-Prozess also.

Es geht ran ans „innere Kind“: Wir sollen empha­tisch werden und unse­rer Phan­ta­sie freien Lauf lassen. Also alles das tun, was die meis­ten von uns in ihrem analy­tisch ausge­rich­te­ten und straff getak­te­ten Arbeit­s­all­tag kaum machen. Menschen lieben Geschich­ten und die sind im Design Thin­king der Weg zur Lösung. Die Ergeb­nisse sind meist unge­wöhn­lich und dennoch simpel.

In Phase 2 sollen wir raus­ge­hen und im Schup­pen 1 zwischen Oldti­mern, Tattoo­shops und Restau­rants das Beobachten lernen. Die wichtigste Phase im Prozess sei das, meint Workshopleiterin Andrea, denn es gehe darum, die Bedürfnisse der Menschen kennenzulernen: „Wenn ihr die Leute dazu bringt, euch emotional zu berühren, dann seid ihr ganz nah dran am Kern.“

Wir befra­gen einen Erzie­her, einen frei­be­ruf­li­chen Wand-Desi­g­ner und den Verkäu­fer im E-Bike-Shop zu ihrer Arbeit. So unter­schied­lich die Charak­tere sind, so ähnlich ist die Kern­aus­sage bei allen Inter­views: Alle wollen sich mit ihrer Arbeit iden­ti­fi­zie­ren können. Es geht um Leiden­schaft, um Über­zeu­gung und die Begeis­te­rung für das eigene Tun.

Aus diesen Erfah­run­gen lassen wir in Phase 3 die Persona „Sieglinde“ entstehen. Unsere Metapher für ihre gegenwärtige Situation ist ein zu kleines, langsames und verrostetes Hollandrad, das sich nur langsam vorwärts bewegen lässt. Für ihre Zukunft stellen wir uns vor, dass sie mit einer roten Vespa durch die Gegend saust. Die sorgt für die Aufmerksamkeit, die ihr bisher im beruflichen und privaten Leben fehlt, für mehr Reichweite und Aktivität – Kontakte zur lokalen Vespa-Szene inbegriffen.

Zeich­nend kommt man besser an die Bedürf­nisse heran, lautet ein Prin­zip des Design Thin­king. Und das ist auch die Heraus­for­de­rung in Phase 4: 100 Ideen sollen wir auf Post-its malen. Unsere Phantasie schlägt Purzelbäume, um Sieglinde mehr oder minder metaphorisch zu ihrer Vespa zu verhelfen. 33 verschiedene Einfälle sind es nach 15 Minuten.

Benutzt alles, was ihr finden könnt, ist das Motto für Phase 5, in der ein Proto­typ entste­hen soll. „Ihr sollt das Kind in euch in Rage brin­gen, etwas   Tolles herstel­len zu wollen“, moti­viert uns Andrea. In profes­si­o­nel­len Design Think-Tanks gibt es eigene Werk­stät­ten mit 3D-Drucker. Uns reicht ein bunt gefüll­ter Papp­kar­ton. Also her mit Lego, Knete, Filz­stif­ten und Kleber, damit Sieg­linde auf ihrer knall­ro­ten Lego-Vespa Platz nehmen kann.

In unse­rer Vorstel­lung wird die 53-jährige Büro­kraft mit ihrem YouTube-Kanal über Vespas so erfolg­reich, dass ihr Arbeit­ge­ber, eine Versi­che­rungs­ge­sell­schaft, ihr das ersehnte Fahr­zeug im Rahmen der Entgeldum­wand­lung zur Verfü­gung stellt. Dieses Modell müssen wir nun in Phase 6 – Präsentieren und Testen – den anderen drei Teams vorstellen.

Nun gut, viel­leicht waren wir von Sieg­lin­des Story gerührt und sind ein wenig über das Ziel hinaus­ge­schos­sen. In der Reflektion mit den anderen Teilnehmern – Phase 7 – verkaufen wir die Maßnahme als neue Arbeitsform. Lässt sich das Prinzip denn nicht für alle Mitarbeiter auf Fahrräder, E-Bikes oder Fitnessstudiobesuche übertragen? Und mal ehrlich, wer einen frischen und klaren Kopf hat, der arbeitet doch gleich viel motivierter?

Fazit

"Wir haben die Chal­lenge ange­nom­men, der Proto­typ ist noch über­a­r­bei­tungs­be­dürf­tig. Design Thin­king, denke ich mir, ist ein Prozess wie eine Zwie­bel. Man pellt sich Schicht für Schicht an das Kern­pro­blem heran. Manch­mal bren­nen einem dabei die Augen. Doch am Ende findet sich etwas, das keimen kann!"

Anne­ka­thrin Gut

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